Die alten Meister schätzen,
Wie’s steht: Nicht gut. Was bleibt?
Das Brett in Brand zu setzen!
Archiv für den Monat März 2017
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (64)
Theobald Wilhelm Broxtermann hat sein „Röschen“ mit „Eine Romanze“ untertitelt. Der Anfang:
Wohlversorgt und wohlgerüstet
Und geneigte Wind‘ erwartend
Lag ein neu gebautes Kriegsschiff
In dem Hafen. Helle Sterne
Blinkten zahllos (denn die Sonne
War noch unter dem Gewässer),
Blinkten wie zur Vorbedeutung
Über ihm; doch alle Winde
Ruhten, und die Meereswogen
Wälzten aus der duft’gen Ferne
Schläfrig murmelnd sich herüber.
Aber sieh! Die duf’ge Ferne
Tagt indes. Der heil’ge Morgen
Rötet hoch und plötzlich höher
Die zerstreuten Wölkchen, rötet
Übers weite Meer die Segel
Und die Wimpel. Günst’ge Winde
Wehten. Und die Segel schwollen
Ungeduldig, und es dehnten
Sich die langgestreiften Wimpel
Flatternd nach der Glut hinüber.
So der unverdienten Ruhe
Längst schon müde, strebet endlich
Aus des grauen Vaters Arm,
Strebt ein junger Abenteurer
Stolz hervor, der Morgenröte
Seiner Hoffnungen entgegen.
– Und los geht die eigentliche Geschichte. Aber diese Morgenschilderung reicht eigentlich schon, um Broxtermann eine eigene Stimme zuzugestehen und ihre Eigenheiten zumindest einigermaßen zu erfassen. Wie stehen Satz und Vers zueinander, wie hält es der Verfasser mit den Wiederholungen, wie gestaltet er die Versenden?! Das sind einige der Fragen, mit deren Hilfe sich der „Fingerabdruck“ eines Verfassers ermitteln lässt; und, selbstverständlich: Der Vortrag der Verse, der auch hier die Lebendigkeit des ungereimten trochäischen Vierhebers bezuegt.
Erzählformen: Das Distichon (76)
Gotthard Ludwig Kosegarten hat den „hymnischen Ton“ gepflegt in seiner Hexameter-Dichtung, wie hier schon vorgestellt – Der Hexameter (22), Der Hexameter (91). Das folgende Distichon scheint erst daran anzuschließen, dann aber …
Dichtkunst, sei uns gegrüßt, Hochheilige, Himmelgebor’ne!
Ewig doch bleibet Barbar, wer nicht der Göttlichen lauscht.
Der Hexameter hat diesen ganz eigenen, hymnischen Klang; ihm folgen aber keine weiteren Hexameter, die ihn weiterführen, sondern ein Pentameter, und der ist, wie das Pentameter so oft sind, schlicht Kommentar, Einschätzung, Wertung; Ernüchterung folgt der eben erst ausgerufenen Hochstimmung. Insgesamt ein eigenartiger Gegensatz!
Bild & Wort (224)
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (63)
August Kopisch lebte und dichtete in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; da waren die Zeiten der Anakreontik schon lange vorbei. Trotzdem hat er eine ganze Reihe der für diese Stilrichtung kennzeichnenden leichten und tändelnden Gedichte geschrieben unter dem Leitgedanken „Amor“, zum Beispiel: „Langsam!“
Amor sprach, den Becher haltend:
„Nipp‘ ein wenig, nur vom Rande!“
Doch, als ich nun erst gekostet,
Nahm ich mir den Becher schräger.
„Langsam!“, rief er, rückwärts beugend:
„Denn ich gab dir nur zu kosten.
Alles trinkst du ja auf einmal!
Glaubst du denn, der Becher Amors
Halt‘ in sich die ganze Meerflut?“
Das hätte auch 70 Jahre vorher geschrieben sein können – Unterschiede zu den älteren Texten gibt es keine, schon gar nicht in der Handhabung des trochäischen Vierhebers, dessen schönen Fluss der eigene Vortrag ziemlich sicher bestätigen wird.
Zwischenbemerkung
Ein Dingebehaupter aus Plauen
Beschließt, auf die Kacke zu hauen,
Und tut’s, und sie spritzt,
Und das Publikum sitzt
– Woanders. Das gilt’s zu verdauen …
Erzählverse: Der Blankvers (96)
Julius Grosse lässt in „Thomas, der Fährmann“ seine Leser einem Gespräch lauschen; Wobei der eine Gesprächspartner durchaus anwesend ist, aber nicht zu Wort kommt – teils durch die Schuld des Verfassers, teils durch die Schuld seiner Hauptfigur … Der Anfang:
Es gibt kein Wetter, Herr. Nur leichte Wölkchen,
Sie kommen über’n See mit gutem Ostwind,
Und schwüle wird der Tag. Drum lasst bei Zeit
Uns nochmal trinken vor der langen Seefahrt.
Setzt euch nur ein. Wir haben Platz und Feuer,
Ich dank Euch, Herr – ein gutes Kraut. Erlaubt,
Dass ich zum Sonntag spare die Zigarre …
Ein alter Mann muss knausern, und beim Rudern
Heißt’s Achtung geben, um den Kurs zu halten.
Ihr schaut euch um, wir sind schon weit vom Land,
Spannt Euren Schirm nur auf, die Sonne sticht,
Die Luft ist klar – auf sieben Stunden sieht man
Jedwedes Schloss, Gehöft, Kapell‘ und Gasthaus
Ringsum am See und an den Bergen allen.
Schaut hin dort droben, deckt das Auge Euch.
Seht ihr das Schloss mit den zwei Türmchen vorn;
Die Fenster blitzen, den Balkon beschattet
Ein Linnendach – jetzt tritt es aus den Bäumen.
Da wohnen kluge Leute, Herr. Der Alte
Ist hochstudiert und half vor dreißig Jahren
Das Griechenvolk befreien von den Türken.
Drum schenkte ihm der Prinz das alte Waldschloss
Und machte ihn zum Edelmann. Nun wohnt er
Wohl manchen Sommer droben mir den Töchtern.
‚S sind schöne Mädchen, und noch alle ledig.
Wohl mancher Fremde schaute mit dem Fernrohr
Vom Nachen hin und fischte nur zum Schein –
Umsonst. Der alte Herr war lange glücklich,
Jetzt brummt er oft und seufzt bei seiner Zeitung,
Weil er nur Töchter hat, denn hätt‘ er Söhne –
Er schickte nach Italien sie zum Kaiser;
Zwar nicht wie er ein Volk dort zu befreien,
Nein, gegen die Rebellen. Herr, ’s ist seltsam,
Wie sich die Menschen ändern mit den Jahren.
Und so noch lange weiter, ein angenehm dahinplättschernder Strom von Tratsch in Blankvers-Form – der sich trotzdem lesen lässt!
Die „Befreiung des Griechenvolks von den Türken“ hatte einige Jahre vor Grosses Geburt begonnen und fand 1829, also in seinem ersten Lebensjahr ihr Ende; Dreißig Jahre später, 1859, kämpften die Italiener um die Unabhängigkeit von Österreich und seinem Kaiser. Hinter dem leichten Ton verbergen sich also doch ernste Ereignisse, die der Verfasser, der lange Zeit in München wohnte (und 1902 in Italien starb), aus nicht allzu großer Entfernung mitverfolgt hat …
Bücher zum Vers (100)
Winfried Menninghaus: Hälfte des Lebens. Versuch über Hölderlins Poetik.
Ein mit knapp 140 Seiten recht schmaler Band, erschienen 2005 bei Suhrkamp, in dessen Zentrum sein Verfasser eines von Friedrich Hölderlins berühmtesten Gedichten gestellt hat, eben: „Hälfte des Lebens“. Menninghaus nähert sich ihm allerdings von einer ungewonten Seite, wie auf Seite 10 zu erfahren ist:
Da Hölderlins dichterische Leistung sehr viel mehr an Rhythmus und Ton seiner Sprache hängt als an ihren pragmatischen und philosophischen Gehalten, bedeutet die heute zur Norm gewordene Vermeidung metrisch-rhythmischer Analysen letztlich eine Verneinung ihres Gegenstands. Aus dieser Grundannahme schöpft die vorliegende Studie den Mut, zuallererst ein Buch zu Geschichte und Signifikanz eines einzigen metrischen Kolons zu sein: des traditionell Sappho zugeschriebenen fünfsilbigen „Adoneus“, der vom Titel „Hälfte des Lebens“ bis zum Schlussvers „Klirren die Fahnen“ das gesamte untersuchte Gedicht prägt. Die in der Arbeit am metrischen Detail gewonnenen Befunde münden in das Projekt einer „allegorischen Metrik“.
Neben dem, was das Buch „zuallererst“ ist, ist es aber durchaus noch einiges mehr; und da es zudem klar geschrieben ist, kann jeder an Hölderlin, Pindar, Sappho, dem Adoneus oder der Dichtung allgemein Interessierte auf angenehme und anregende Weise manches Wissens- und Bedenkenswerte darin finden.
Frage und Antwort (II)
Was ist die Welt? – Ist ein Clownsgesicht (dem die Torte bestimmt ist).
Erzählformen: Das Distichon (75)
Die Elegien von Karl Isidor Beck sind keine besonders guten Gedichte. Wenn man sich mit dem Distichon beschäftigt, lohnt die Beschäftigung mit ihnen aber doch, weil sie einen ganz eigenen Ton haben und durchhalten, dem auf den Grund zu gehen einiges über die Wirkungsweise des Verspaares offenbart! Eine kurze Probe:
Bleibe der Minne gedenk, ach, erster geheiligter Minne,
Ihrer beständig gedenk, selber in eherner Zeit,
Sieh, du weckst im Gemüt dir alte, olympische Träume,
Rufst ein entthrontes Geschlecht herrlicher Götter zurück:
Amor fährt mit dem Taubengespann an, Flora begrüßt ihn,
Immer und ewig verstehn Blumen und Liebe sich gut;
Luna hat seiner geharrt, viel Heimliches gibt’s zu bereden,
Nächte verwachen, genehm war es den beiden von je;
Dichtend im Kreis der gefeierten Neun weilt Phöbus Apollo,
Seinen erflossenen Vers hauchen die Grazien an.
Jung war jeder im Leben, und fremd blieb keinem die Liebe,
Einmal schaute den Gott jeder im Leben gewiss,
Griff in die Saiten und sang! O keinen erhabenen Meister
Hat er beflissen gehört, keine der Regeln gekannt,
Seinem im Freien erwachsenen Lied ward nimmer ein Preisreis,
Aber im Innersten echt war das vergessene doch!
Bleibe der Jugend gedenk, wenngleich karglockigen Scheitels,
Inniger Minne gedenk selbst in raufender Zeit,
Rufst dem verlassenen Olymp hochedle Dynasten zurücke,
Lebst mit der Leier im Arm, unter den Göttern ein Gott!
Was fällt auf? Beck hat wenig Scheu vor Gleichklängen, die eigentlich stören, weil sie von der Versbewegung ablenken: „Taubengespann an“, oder gar „Preisreis“! Er hat deutlich häufiger als der Durchschnitt Zweisilber vor dem Pentameter-Einschnitt und am Pentameter-Schluss; es gibt einige eher seltene Wörter zu bestaunen, wie „erfließen“; und „zurück“ oder „zurücke“, je nachdem ob es einen Penta- oder einen Hexameter schließt, sind ihm gänzlich gleichwertig. „Verlassene Olymp“ scheint eine dreisilbige Senkung zu sein, aber da hat vielleicht auch nur der Drucker das Apostroph vergessen …
Davon abgesehen ist der Text: Schwungvoll. Auch hochtrabend und ein wenig angeberisch, sicher; aber eben auch auf eine ziemlich anziehende Weise schwungvoll!