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Wortvergnügt (8)

Wer seinen Wortschatz mit einigen „Vorsilbenwörtern“ erweitern möchte, kann es ja einmal mit „um- + Farbe“ versuchen, in der Bedeutung: „umgeben mit / von“. Einige Beispiele zur Anregung, alle aus alternierenden Gedichten genommen:

 

Umblaut vom Himmel als ein göttliches Gebild – Conrad Ferdinand Meyer

Und auch des Schwarzwalds stets umbraunte Schatten – Adam Gottlob Detlef von Moltke

Mit dem blauen Meeresteppich, zart vom Dünensaum umgelbtJohann Wilhelm Meinhold

Mit warmer Sommerhut umgolden sich die Fichten – Theodor Däubler

Die kalte Flur umgraut die Nacht – Ludwig Gotthard Kosegarten

Doch friedlich soll der Ölzweig sie umgrünenFriedrich Schiller

Umpurpurt alle Höhen schon – Johann Nepomuk Vogl

Noch war die Knospe mild umrötetHermann Rollett

Umschwärzt den Himmel uns mit Ungewittern – Ernst Theodor Johann Brückner

Wie, wann der Tau die Ros‘ umsilbertAdam Gottlob Detlef von Moltke

 

„Umweißen“ gibt es auch, sagen die (alten) Wörterbücher; ich habe auf die Schnelle aber kein schönes Beispiel gefunden …

Wer sich da dann sicher fühlt, wagt vielleicht sogar „zer- + Farbe“?! Das ist allerdings etwas gewöhnungsbedürftiger, wie der folgende, leicht rätselhafte Vers von Theodor Däubler vermuten lässt:

 

Die Rosen entflammen zersilberndem Schleier,

 

Wobei das Gedicht, dem der Vers entnommen ist, „Der Garten“, einiges an selteneren „Vorsilben-Wörtern“ enthält: verinnigen, verjünglingen(!), beträumen, und noch einmal mit „um-„: umrätseln.

Vieles, das versucht werden will!

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Das Königreich von Sede (109)

Schemel steht, denn grau ist alles
Und November, in der Küche,
Wartet, nimmt den Topf vom Feuer,
Geht zum Eimer, gießt vom heißen
Wasser ein ins kalte, rührt dann,
Prüft dann mit der Hand – ein wenig
Gibt er nach, bis alles recht ist,
Tritt zurück und sieht drei Frösche
Steifen Beins empor sich werfen,
Auf den Rand zu und hinüber,
Und hinein in warmes Wasser
Spritzt zuerst und schlägt nun Wellen,
Darin still drei Frösche schaukeln,
Missgestimmt und doch zufrieden.

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Erzählformen: Das Sonett (19)

Sonette über die Musik gibt es manche; ihr Vergleich lehrt sicher auch einiges über die Darstellungsmöglichkeiten der Form. Hier eines von Franz Werfel, „Der Dirigent“:

 

Er reicht den Violinen eine Blume
Und ladet sie mit Schmeichelblick zum Tanz.
Verzweifelt bettelt er das Blech um Glanz
Und streut den Flöten kindlich manche Krume.

Tief beugt das Knie er vor dem Heiligtume
Des Pianissimos,der Klangmonstranz.
Doch zausen Stürme seinen Schwalbenschwanz,
Wenn er das Tutti aufpeitscht, sich zum Ruhme.

Mit Fäusten hält er fest den Schlussakkord.
Dann harrt er, hilflos eingepflanzt am Ort,
Dem ausgekommenen Klange nachzuschaun.

Zuletzt, dass er den Beifall dankend rüge,
Zeigt er belästigte Erlöserzüge
Und zwingt uns, ihm noch Größres zuzutraun.

 

Hübsch! Auf- und doch auch erzählend; und mit einem gehörigen Schuss Komik versehen. Das lässt sich sicher als Ausgangspunkt für einen Vergleich benutzen?!

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Erzählformen: Die alkäische Strophe (25)

Die erste Strophe von Ferdinand von Saars „Aufflug“ pflegt, wie es zur (alkäischen) Ode gehört, das große Wort:

 

O hehrer Vollklang attischen Rhythmenschwungs,
Wie fremd geworden bist du dem deutschen Ohr!
Für immer abgetan erklärte
Längst dich banausischer Zeiten Stumpfsinn.

 

Das liest sich nicht schlecht?! Leider misslingen von Saar die folgenden vier Strophen in ihrem „Ich will es trotzdem wagen“ ziemlich … „Aufgeflogen“ in einem anderen Sinn, wenn man will. Immerhin, die dritte Strophe hat durchaus ihren Reiz:

 

Wen noch ergreift heut Klopstocks, des Barden, Lied?
Veraltet ist es – mit ihm veraltet auch
Sind Hölderlins, des Sehnsuchtsvollen,
Tönende Hymnen und Platens Hochsinn.

 

Wahr; jedenfalls in Bezug auf Klopstock und Platen …

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Licht ins Dunkel

Ein Dichter dichtet einen Vers,
Dann einen zweiten, ganz, als wär’s
Von irgendeinem Nutzen,
Und kichert still und geht vergnügt
Das Küchenfenster putzen:
Wer reimt, betrügt.

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Erzählverse: Der Blankvers (119)

Einen Blankverstext noch, bevor es wieder in eine andere Richtung geht, diesmal einen harten und unnachgiebigen: Leo Sternbergs „Die Lebensmüden“.

 

Was kommt dort für ein seltner Pferdeknecht?
Bringt seinen Markteinkauf der Schinder heim?
Durch das Gewühl der Großstadt führt der Tod
der Klepper lange Koppel, kahl gehalftert,
mit strohdurchflochtnen Schwänzen, Hängebäuchen,
Wundaugen auf den Hüften, scheele, lahme,
nur Sehnen noch der Hals, und um den Huf,
an dem das halbgelöste Eisen klappert,
des Fesselbusches ungeschnittner Strupp.

Des Führers Finger deutet rechts und links;
auf Brauergäule dort, bergan gepeitscht;
auf doppelstöckiger Straßenbahn Gespann,
das nass gejagt am ganzen Leibe dampft;
auf der berittnen Wachen erznen Rappen,
der festgegossen in der Torfahrt starrt;
und auf des Droschkenkutschers gichtigen Koller,
der mit der Nase tief im Futtersack
von Hafer träumt, den er im Himmel findet.

Entzäunt, entsattelt, jeder Last entschirrt,
mit ungetrübtem Auge seht ihr jetzt
dem Treiben zu. Es ist euch freigestellt,
es noch einmal zu leben. Also wählt!
Noch einmal heben sie die langen Stirnen,
gespitzten Ohres in die Ferne prüfend.
Lang sagen sie nicht „ja“ und auch nicht „nein“,
dann sinkt die Stirn: „Es ist uns einerlei.“

„So spricht der Sterbende! Voran denn, Alter!“
Und auf schwingt sich der Tod wie ein Ulan
und reitet alle in die große Schwemme.

 

Auf seine Art eine nicht weniger wirksame Sammlung einprägsamer Einzelheiten als das in (118) gezeigte Liliencron-Gedicht … Der Vers „Entzäunt, entsattelt, jeder Last entschirrt“ ist eine schöne Ergänzung zu Wortvergnügt (7)!

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Erzählverse: Der Blankvers (118)

Vielleicht lässt sich etwas lernen aus den Vergleich zwischen Otto Ludwigs Versen des gestrigen Eintrags und der ersten Hälfte von Detlev von Liliencrons „Auf einem Bahnhofe“?!

 

Aus einer Riesenstadt verirrt‘ ich mich
Auf einen weit entlegnen kleinen Bahnhof.
Ein Städtchen wird vielleicht von hier erreicht
Von Männern, die vom Morgen an viel Stunden
Am Pult, in Läden und Kanzlei gesessen,
Und nun des Abends im Familienkreise
Den Staub abschütteln wollen vom „Geschäft“.
Ein glühend heißer Sommertag schloss ab.
Es war die Zeit der Mitteldämmerung.
Der neue Mond schob wie ein Komma sich
Just zwischen zwei bepackte Güterwagen.
Im Westen lag der stumme Abendhimmel
In ganz verblasster milchiggelber Farbe.
Und diesem Himmel stand wie abgeschnitten
Ein Haufen Schornsteintürme vor der Helle.
Aus allen Schloten qualmte dicker Rauch,
Erst grad‘ zur Höh‘, dann wie gebrochen bald,
Beinah‘ im rechten Winkel, einem Windzug
Nachgebend, der hier Oberhand gewonnen.
In wunderlich geformten Öfen dort,
Die offne Stellen zeigten, lohte ruhig,
Ganz ruhig, ohne jeden Flackerzug,
Ein dunkelblauer starker Flammenmantel …

 

Inhaltlich ziemlich beeindruckend, wie Liliencron eisern bei der Beschrebung dessen bleibt, was zu sehen ist – überzeugt davon, dass die Kraft der Verse den Leser hält?! Kraft haben die VErse aber wirklich, nicht zuletzt wegen der Versenden, die deutlich abwechslungsreicher gestaltet sind als die bei Ludwig mit ihrem Wechsel von männlich-betonten und weiblich-unbetonten Endsilben. Wobei letzere auch häufig ein „schwaches e“ haben; aber eben nicht alle.

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Erzählverse: Der Blankvers (117)

Otto Ludwigs „Zu stille Liebe“:

 

Zwei liebten sich und wollten sichs nicht sagen,
Und küssten sich auf eines Kindes Munde,
Und sahen sich nur in des Kindes Augen,
Und sprachen sich nur durch den Mund des Kindes.
Da starb das Kind. Nun konnten sie nicht küssen,
Nicht mehr sich sehn und auch nicht mehr sich sprechen.
Da haben sie sich ganz in sich gezogen,
Und immer fremder sind sie sich geworden
Und haben immer heißer sich geliebet,
Nach Kuss und Blick gesehnt und süßer Rede,
Und sind am End‘ vor Sehnsucht gar gestorben.

 

Ob es da die letzten fünf Verse wirklich braucht?! Warum nicht, sie schaden ja nicht, könnte man sagen; aber wenn ein Gedicht so unscheinbare, wenig gestaltete Blankverse nutzt, sollte es wohl nicht allzulang sein, weil sich sonst eine gewisse Eintönigkeit bemerkbar macht?!  Als Beispiel: Es schließen wieder – siehe (116) – alle Verse weiblich-unbetont, und die unbetonten Endsilben haben alle ein „schwaches e“, nicht selten in der Forn „-en“, was Vers immer leblos erscheinen lässt; je länger der Text, desto nötiger die Abwechslung auch in diesem Punkt!

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Erzählformen: Das Distichon (104)

Heinrich von Kleist hat einige wirklich gelungene Einzeldistichen geschrieben; aber seine ganz eigene Art des Ausdrucks ist bestimmt um den größeren Raum, den eine ganze Reihe von Distichen bietet, nicht böse gewesen … Wie das wirken kann, zeigt sein „Prolog“:

 

Wettre hinein, o du, mit deinen flammenden Rossen,
Phöbus, Bringer des Tags, in den unendlichen Raum!
Gib den Horen dich hin! Nicht um dich, neben, noch rückwärts,
Vorwärts wende den Blick, wo das Geschwader sich regt!
Donnr‘ einher, gleichviel, ob über die Länder der Menschen,
Achtlos, welchem du steigst, welchem Geschlecht du versinkst,
Hier jetzt lenke, jetzt dort, so wie die Faust sich dir stellet,
Weil die Kraft dich, der Kraft spielende Übung, erfreut.
Fehlen nicht wirst du, du triffst, es ist der Tanz um die Erde,
Und auch vom Wartturm entdeckt unten ein Späher das Maß.

 

Da ist das Distichon immer noch die Größe, von der her der Text gedacht ist; aber weil der Gedanke insgesamt mehr Raum hat, geht er auch verschlungenere Wege, und die angeregte Art, in der er es tut, passt wunderbar zum „Wirklichkeits- und Bewegungshunger“ des Distichons?!