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Erzählverse: Der iambische Trimeter (24)

Conrad Ferdinand Meyer hat sich in einem Trimeter-Text „Schillers Bestattung“ angenommen:

 

Ein ärmlich düster brennend Fackelpaar, das Sturm
Und Regen jeden Augenblick zu löschen droht.
Ein flatternd Bahrtuch. Ein gemeiner Tannensarg
Mit keinem Kranz, dem kargsten nicht, und kein Geleit!
Als brächte eilig einen Frevel man zu Grab.
Die Träger hasteten. Ein Unbekannter nur,
Von eines weiten Mantels kühnem Schwung umweht,
Schritt dieser Bahre nach. Der Menschheit Genius war’s.

 

Eindrückliche Verse! Wobei der Vergleich mit der wirklichen Bestattung sicher interessant wäre, um einmal die Wirklichkeit mit dem zu vergleichen, was in einem Gedicht auffindbar sein muss, damit es leben und wirken kann … Die „Fackeln“ waren da, weil es eine nächtliche Beisetzung war; der „Sturm“ und der „Regen“ eher nicht?! Aber das gehört dann eben dazu, wie die „hastenden Träger“ auch; kommen mir dabei doch gleich Bilder einer anderen Bestattung in den Sinn: Amadeus Funeral Scene.

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Erzählformen: Das Distichon (38)

Emanuel Geibel schließt ein Fünf-Distichen-Epigramm mit diesem Verspaar:

 

Willst du Lebendiges zeugen, so schaffe, wie Gott schuf – liebend;
Göttlichen Odem beschert einzig die Liebe dem Werk.

 

Bemerkenswert daran ist der Hexameter, dessen fünfter Versfuß nicht, wie sonst eigentlich immer dreisilbig ist, sondern zweisilbig! Das ist schon in reinen Hexameter-Texten eine Ausnahme (im Schnitt weisen dort 2% aller Verse diesen Bau auf); im Hexameter eines Distichons kommt es aber noch seltener vor!

Der zweisilbige Fuß ist dabei ein würdiger Vertreter des dreifüßigen, denn durch die schwere Silbe, die in der Senkung steht („schuf“), und die nachfolgende, durch den Gedankenstrich verdeutlichte Sprechpause ist er von gleicher Länge und gleichem Gewicht; und er rechtfertigt sein Erscheinen mit seiner Wirkung, denn mit ihm wird das den Vers schließende „liebend“, das der Leserhörer ja vor allem wahrnehmen soll, eindrucksvoll vereinzelt und damit hervorgehoben!

Der Pentameter ist, verglichen damit, recht unscheinbar – auch inhaltlich; eigentlich könnte der Hexameter für sich stehen, als ein „Ein-Vers-Gedicht“:

Willst du Lebendiges zeugen, so schaffe, wie Gott schuf: liebend.

 – Mit leicht geänderter Zeichensetzung, weil nun am Versschluss die Spannung „auf Null“ geht. Allerdings fällt die Abweichung vom gewöhnlichen Bau so noch stärker auf?! Und ins Gesamtepigramm, das ja fünf Distichen lang ist, fügt sich der Pentameter dann doch gut ein!

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Wie erzählen?

„Wie erzählen?“ – eine auch für die Verserzählung wichtige Frage! An Antworten, Ratschlägen und Ratgebern mangelt es dabei nicht; manchmal erscheinen sie sogar an unerwarteter Stelle, wie zum Beispiel in Achim von Arnims Roman „Gräfin Dolores“:

Hierauf begann der Prinzenhofmeister, mit verschränkten Beinen ruhig sitzend, seine wohlüberlegte Erzählung.

„Da ich nach dem freundschaftlichen Wunsche des lieben Barons von allen frühern Ereignissen schweigen soll, die meiner Führung des mir anvertrauten jungen hoffnungsvollen Erbprinzen alle Ehre machten, und bloß von dem schmerzlichen Tage reden muss, der alle meine guten Lehren vernichtete, so kann ich es mir zur Genugtuung wenigstens nicht versagen, die Grundsätze zu entwickeln, denen ich in der Erziehung gefolgt bin, und denen ich auch auf der Reise treu geblieben, welche die Erziehung des Prinzen beendigen sollte.“

„Nicht so breit und steif“, sagte der Baron, „reden Sie wie gewöhnlich, sonst werden Sie nimmermehr fertig; kurz will ich erzählen, Sie reisten mit dem Erbprinzen nach Hause und auf einem Seitenwege kamen Sie an einen See …“

Der Prinzhofmeister: „Sehr gut gesagt. Ich ritt mit meinem Erbprinzen ganz allein durch einen tiefen Hohlweg; die Baumwurzeln hingen über uns in der Luft, der Weg war frisch aufgerissen, der Boden noch nass, aber der Regensturz hatte sich in einem Bache verlaufen, der uns an das Ufer eines großen Sees brachte, das, so weit man sehen konnte, nichts als Wacholderbeersträuche hervorbrachte. Wir fanden ein kleines Haus und dabei eine Fähre; der Fährmann, der aus dem Hause trat, fragte uns, ob wir nach der Festung übersetzen wollten, die wir jetzt wie eine Perle auf einem großen blauen Türkis in der Mitte des Sees liegen sahen.“

„Nicht so breit und steif“ – eine kurze und äußerst verständige Antwort, wie mir scheint! Und eine wirksame; denn „Sehr gut gesagt“ lässt sich auch vom zweiten Ansatz des Prinzhofmeisters sagen, dem zu lauschen eine Freude ist.

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Erzählformen: Der Zweiheber (27)

Gedichte in Zweihebern haben oft etwas sinnlich-bewegtes; sie können aber auch auf gedanklicher Grundlage aufgebaut sein, wie zum Beispiel die „Antikritik“ von Isolde Kurz, die sich in ihren gesammelten Werken bezeichnenderweise unter den „Sinngedichten“ findet:

 

Den Herrn Professor
Halt‘ ich in Ehren,
Weiß er es besser,
Mag er mich’s lehren.
Philosopheme,
Dunkle Systeme,
Kann er erklären,
Kann er vermehren.
Logik, Methodik
Sind seine Sachen,
Nur seine Prosodik,
Die macht mich lachen.

Eh er mich meistern will,
Seh‘ er sich vor:
Zwar er hat den Gottsched,
Doch ich – das Ohr.

 

– Lässt die durchaus selbstbewusste Dichterin ihr „Ich“ sicherlich stellvertretend, wenn auch nicht gänzlich ernst sagen …

Die Zweiheber sind hier anfangs sehr sauber gebaut, die Hebungen können eindeutig zugewiesen werden; gegen Schluss ist die Sache etwas weniger klar, aber da das Ohr den Zweiheber bis dahin als gestaltende Größe verinnerlicht hat, findet es doch immer das richtige, denke ich! Der erste Teil hätte auch als drei unabhängige Strophen gesetzt werden können; die Verfasserin entschied sich anders.

Dass mit Johann Christoph Gottsched (der eine zu seiner Zeit ungemein wirkungsvolle „Critische Dichtkunst“ geschrieben hat) eine wenn auch große, so doch zu Kurz‘ Lebzeiten schon längst überholte Autorität Erwähnung findet, ist eher kein Zufall …

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Erzählverse: Der Blankvers (84)

Detlev von Liliencrons „Der Ländler“ erzählt sehr entspannt, in einem Blankvers, der die Sprache wirklich kaum merkbar formt:

 

Auf die Terrasse war ich hinbefohlen,
Der jugendlichen, schönen, geistvollen,
Holdseligen Prinzessin vorzulesen.
Ich wählte Tasso.

Durch den Sommerabend
Umschwirrt uns schon das erste Nachtinsekt.
Die Sonne war gesunken. Rot Gewölk
Stand hellgetönt, mit Blau vermischt, im Westen.
Der Garten vor uns, tief gelegen, hüllt
Sich ein in dunkle Schatten mehr und mehr.
Und eine Nachtigall beginnt.

Der Diener
Setzt auf den Tisch die Lampen, deren Licht
Nicht durch den schwächsten Zug ins Flackern kommt.
Von unten, aus dem Dorfe, klingt Musik,
Und deutlich aus der Finsternis heraus,
Leuchtstriche, blitzen eines Tanzsaals Fenster.
Die Paare huschen schnell vorbei in ihnen.
Zuweilen, wenn die Tür geöffnet steht,
Erschallt Gestampf, der Brummbaß, Kreischen, Jauchzen.
Unbändig scheint die Freude dort zu herrschen.
Ich trage unterdessen weiter vor,
Wie flüchtige Bilder, unbewußt, den Trubel
Im Tal an mir vorüberziehen lassend,
Und jene Verse hab ich grad‘ getroffen:
„Beschränkt der Rand des Bechers einen Wein,
Der schäumend wallt und brausend überquillt?“,
Als ich die Lider hob und die Prinzess,
Die säumig ihre Linke dem Geländer
Hinüber ruhen lässt, erblicke, wie sie,
Nicht meiner Lesung achtend, niederschaut,
Das braune Auge träumerisch, sehnsüchtig
Hinuntersendet auf den fröhlichen Ländler.

„Wie wär‘ es, fänden wohl Durchlaucht Vergnügen,
Dem frohen Reigen dort sich anzuschließen?“
Und sie, ein Seufzer: „Ach, ich tät’s so gern.“

Wenn ich’s nur bringen könnte, wiedergeben,
Wie jenes Wort von ihr gesprochen ward,
Das „so“, das „gern“, wenn ich’s nur treffen könnte,
Wie sie das sagte: „Ach, ich tät’s so gern.“

 

Ob nun der in Blankversen geschriebene „Tasso“ dem „Ländler“ dieses Versmaß eingebracht hat, oder umgekehrt der in Blankversen geschriebene „Ländler“ „Tasso“ (und nachfolgend das passende Zitat daraus) als vorgetragenen Text herbeirief – wer weiß es; die Trennung eines Blankverses auf zwei Abschnitte eines erzählenden Gedichts, wie hier zweimal zu beobachten, ist aber auf jeden Fall seltener als die Aufteilung eines Blankverses auf zwei Sprecher im Drama!

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Erzählformen: Das Distichon (37)

Goethes Biographie

Anfangs ist es ein Punkt, der leise zum Kreise sich öffnet,
Aber wachsend umfasst dieser am Ende die Welt.

 

– Ein Distichon Friedrich Hebbels, und wie so viele seiner Distichen ein sehr gelungenes, in der Aussage wie im Aufbau! Bemerkenswert dabei der Reim „leise – Kreise“, der nicht als Endreim die Verse schließt, sondern „einfach so“ mitten im Hexameter steht; und trotzdem das Ohr beschäftigt, das in einem Bewegungsvers wie dem Hexameter mit einem solchen Gleichklang erst einmal nicht rechnet.

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Erzählformen: Die Brunnenstrophe (15)

Die in (12) und (13) vorgestellte „doppelte Brunnenstrophe“ ist eigentlich die ältere Form, und die „einfache Brunnenstrophe“ die jüngere; trotzdem hat man fast auschließlich den Vierzeiler im Ohr, während der Achtzeieler heute fremd wirkt. Das liegt, auch und besonders, an der Romantik, die viele großartige, wirkungsmächtige Gedichte in volkstümlichen, kreuzgereimten Vierzeiler-Strophen geschrieben hat und diese Art Strophe als „Ohren-Maß“ eingeführt hat: Längere Strophen, wie sie vor 1800 beliebt und häufig waren, wirken heute fremd.

Die „doppelte Brunnenstrophe“ hat Robert Eduard Prutz 1841 benutzt, um seinen Band „Gedichte“ zu eröffnen mit „Den Dichtern“ – die zweite Strophe:

 

Wohl hört man allerorten
Von Unmut, Zwist und Streit,
Sie schmäh’n mit herben Worten
Auf diese schlimme Zeit:
Dass aus der Welt entschwunden
Die alte Märchenpracht,
Und keiner drin gefunden,
Was er als Kind gedacht.

 

Vor allem angesichts der letzten vier Zeilen ist die Wahl der Strophenform hier vielleicht ganz passend?! Als dieser Form eher fremder Inhalt wirkt, zumindest auf mich, dann die deutlich rhetorische Aufforderung der dritten Strophe:

 

Und sind so schlimm die Zeiten
Und ward die Zeit so schlecht:
Was mehr? So musst du streiten
Und kämpfen für das Recht.
Da gilt’s nicht Seufzer singen,
Schwermüt’ge Litanei’n,
Da gilt es fröhlich Ringen,
Gilt Mann mit Männern sein!

 

In der letzten Strophe schließlich kommen beide Stimmen zu Wort, die volkstümliche wie die gedanklich-aufrüttelnde, fein auf die beiden Strophenhälften verteilt:

 

Noch leuchten Gottes Sterne
Wohl über Land und Flut,
Noch gibt es nah und ferne
Viel Herzen fromm und gut:
Sie sollen nicht verderben!
Zu Taten, kühn und groß,
Soll dein Gesang sie werben:
Sieh, das ist Dichterlos!

 

Was er hier beschreibt, hat Prutz in seinem eigenen Dichten jedenfalls umgesetzt … Mit welchem Erfolg – nun ja; zu seiner Zeit war er jedenfalls ein bekannter und vielgelesener Mann!

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Ohne Titel

„Gespenster? Gibt es nicht! Es gab sie, früher,
Als sich die Menschen noch begraben ließen,
Am Stück, im Sarg; doch heute wird verbrannt,
Und aus der Urne, schlägt es Mitternacht,
Hebt sich kein Geist ins Licht des Mondes, nein:
Nur Geisterasche, unsichtbar und stumm.“