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Erzählverse: Der Hexameter (127)

Bei dem, was man beabsichtigt oder zufällig liest über den Tag verteilt: Lohnt es sich, darauf zu achten, ob und wie der Hexameter vorkommt. Das tut er, eigentlich, gar nicht so selten, wenn auch meist nur am Rande. In Friedrich Georg Jüngers 1979 bei Klett-Cotta erschienenem Roman „Heinrich March“ etwa:

In Geest sah Ludolf den einzigen Lehrer der Schule, der ihn förderte und die Fähigkeit dazu hatte, eine Fähigkeit, die sich nicht auf Lehren und Lernen beschränkte. Er spürte, dass darin keine Absicht lag, sondern ein Wohlwollen, das ihn freiließ. So hielt er sich an Geests Weisungen und tat das auch, wenn er in seinem Zimmer war und nicht stumm, sondern laut memorierte. Geest hatte ihm eingeprägt, dass das laute Lesen Gewinn bringe. Die Sprache sei nicht für das Auge, sondern für das Ohr da, und nur im Ohr entstehe das Echo, welches Prosa und Verse hervorriefen: auch das Auswendiglernen werde dadurch erleichtert. Wenn Heinrich und Otto an Ludolfs Zimmer vorbeigingen, sagte Otto: „Er hexametriert wieder“. Frau Rosa kam hinzu, und sie lauschten gemeinsam an der Türe. „Er sollte auch uns etwas vorlesen. Ich habe das lange genug für euch getan.“

Ludolf ging darauf ein,und sie begannen an den Winterabenden damit und lasen zuerst den „Reineke Fuchs“.

So zu lesen auf Seite 74. Jünger hat selbst „hexametriert“ (als Versemacher, nicht -leser) und sich auch grundlegend Gedanken zu Vers und Hexameter gemacht in seinem kleinen, aber feinen Band „Rhythmus und Sprache im deutsche Gedicht„. Da findet sich dann auch ein Gedanke aus obigem Romanauschnitt wieder: „Der Vers ist keine Größe fürs Auge, sondern fürs Ohr.“

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Erzählformen: Der Zweiheber (6)

Der trochäische Zweiheber – X x X x (4, Waiblinger) – kann auch mit männlichem Schluss vorkommen: X x X, dreisilbig also. Ein eindrückliches Beispiel für das Wechselspiel beider Formen geben diese vier Verse aus Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“:

 

Von dem Dome
Schwer und bang
Tönt die Glocke
Grabgesang.

 

Wenn man nun bei diesen beiden Versen, nach dem Vorbild der iambischen Zweiheber aus (5), eine Senkung mit zwei unbetonten Silben besetzt, entstehen diese Verse:

X x x X x

X x x X

– Und die klingen dann gar nicht mehr „schwer und bang“, sondern kraftvoll und beweglich; wie Schiller selbst zum Beispiel in seinem „Punschlied“ vorführt:

 

Vier Elemente,
Innig gesellt,
Bilden das Leben,
Bauen die Welt.

Presst der Zitrone
Saftigen Stern,
Herb ist des Lebens
Innerster Kern.

Jetzt mit des Zuckers
Linderndem Saft
Zähmet die herbe,
Brennende Kraft.

Gießet des Wassers
Sprudelnden Schwall,
Wasser umfänget
ruhig das All.

Tropfen des Geistes
Gießet hinein,
Leben dem Leben
Gibt er allein.

Eh es verdüftet,
Schöpfet es schnell,
Nur wenn er glühet,
Labet der Quell.

 

(Wer mag, kann sich die Lesung von Fritz Stavenhagen anhören)

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Erzählformen: Der Zweiheber (5)

Ein drittes Mal Christian Friedrich Daniel Schubart; diesmal dient eines seiner Gedichte dazu, die nächste Ausprägung des Zweihebers vorzustellen. Wenn man bei den beiden schon gezeigten Versen …

x X x X (1 & 2, Morgenstern & Ringelnatz)

x X x X x (3, Uhland)

… die zweite Senkung nicht mit einer unbetonten Silbe, sondern mit zwei unbetonten Silben besetzt, entstehen diese Verse:

x X x x X

x X x x X x

Diese Zweiheber sind eine beliebte Wahl; Schubart hat zum Beispiel sein „Schlittenlied“ in einer Strophe geschrieben, der diese beiden Verse zugrundeliegen. Die ersten beiden Strophen:

 

Schon wiehert der Schimmel
Sein mutig Geschrei;
Er stampft; denn es glitten
Geflügelte Schlitten
Am Stalle vorbei.

Was wichsest du, Kutscher,
Den Schnurrbart? Spann‘ an!
Und schirre den Schimmel;
Denn schön ist der Himmel
Und prächtig die Bahn.

 

Das genügt schon, um zu hören: Diese Verse sind schwungvoll, sie bewegen sich rasch und ungezwungen; und gerade Lieder sind mit ihnen einfach und eindrücklich zu gestalten!

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Das Königreich von Sede (79)

Als flammend rot die Sonne sinkt,
Wirft Schemel einen kleinen Stein,
Der, vor den Flammen schattenschwarz,

Durch Schatten fällt; er fällt ins Schwarz
Des Grabenwassers und versinkt.
Nun ist die Sonne fort, der Stein

Erinnrung nur – war je der Stein,
Die Sonne je? Ins stille Schwarz
Lacht Schemel auf; sein Lachen sinkt,

Und sinkt dem Stein nach, gleich ihm: schwarz.

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Erzählverse: Der iambische Vierheber (6)

Der im gestrigen Eintrag erwähnte Christian Friedrich Daniel Schubert bevorzugte in seinen eigenen Texten trotz der Liebe zu Klopstocks „Messias“ den Reimvers, schrieb aber gelegentlich auch ungereimte Verse meist iambischer Art. Ein Beispiel ist „Das wundertätige Kruzifix“, dessen Anfang so lautet:

 

Ein Eremit, dem Tode nah‘,
Sprach zu Sebastian, dem Knaben,
Den er als Sohn erzog: „Ich sterbe!
Sebastian, mein Sohn, begrabe
Mich neben dieser Hütt‘, ins Grab,
Das ich mir selbst geschaufelt. Wisse,
Du guter Baste, der du mir
Den süßen Vaternamen gabst,
Dein Vater bin ich nicht, ich fand
Dich einst, als Mordsucht mit dem Schwert
Die Ketzer würgte: ach, der Himmel
Sah rot und schien sich zu entsetzen
Ob diesem Gräu’l! – da fand ich dich
Im Arm des trunknen Kriegers, der
Dich eben aufwärts schleudern wollte,
Um dich zu fangen mit dem Schwerte.“

 

Rasch und ungezwungen sich bewegende iambische Vierheber, allerdings leicht unübliche; denn während es beim Blankvers zum Wesen des Verses gehört, zwischen betonten und unbetonten Vers-Schlüssen zu wechseln, weisen ungereimte, gereihte iambische Vierheber meist ausschließlich betonte Vers-Schlüsse auf. Schubart wechselt hier aber blankverstypisch, was sicher auch zum prosanahen Eindruck der Verse beiträgt!

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Erzählverse: Der Hexameter (126)

Die Beschäftigung mit Christian Friedrich Daniel Schubart lohnt in vielerlei Hinsicht. Hier möchte ich aber nur einen kurzen Ausschnitt aus seinem Werk „Leben und Gesinnungen“ anführen:

Ich muss doch hier eines kleinen Abenteuers erwähnen, das mir damals tief ins Herz schnitt und mir noch unvergesslich ist. Fast mit meinem letzten Geldvorrate kaufte ich mir die hallische Ausgabe des Messias, fuhr auf dem grauen Rhenus, legte ein Brett über den Kahn, Klopstocks Messias vor mir. Ich las eben den sechzehnten Gesang und lag mit der vollen Seele auf der Stelle, wie die gerichteten Seelen auf Tabor riefen:

Jupiter, Gott des Donners! Erbarme dich unser!
Brama! Tien! Allvater! Wir fehlten, sündigten, irrten!
Zeus Kronion! Götterbeherrscher, erbarme dich unser!

Rasch auf stand ich in der Begeisterung und – Brett und Messias flogen in (den) Rheinstrom. Wie angedonnert stand ich da und sah bleich und starräugig meiner geliebten Messiade nach, die wie eine geschossene Ente auf dem Wasser fluderte und untersank.

Fludern. Ja. So geht das. Vom „Messias“ war Schubart aber in der Tat tief ergriffen, so tief, dass er ihn auf seinen Reisen immer wieder vortrug; vor durchaus mit-ergriffenem Publikum!

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Erzählformen: Der Zweiheber (4)

Zweiheber können selbstredend auch auftaktlos einsetzten, also etwa zweihebige Trochäen als Maß nutzen. Wilhelm Waiblingers „Schlachtgesang“ (aus seinen „Lieder der Griechen“) ist ein Beispiel – ein Auszug:

 

Feldherr
Griechen! Hoher
Väter Enkel!
Zieht die Schwerter!
Lasst die Fahnen
Wirbeln, flattern
Durch die Lüfte!
Donnernd wog‘ aus
Tausend Kehlen
Kriegsgesang durch
Waldgeklüft und
Berg und Eb’ne!

Das Heer
Wir nah’n! Wir nah’n!
Durch Tal und Wald!
Hinan! Hinan!
Die Stimme schallt!
Wir machen Bahn
Ohn‘ Aufenthalt!
Wir stürmen an!
Die Bergkluft hallt!
Mit kühner Lust,
Mit Riesenwut,
Mit starker Brust,
Mit Löwenmut!
Das Schwert erklingt!
Die Fahne fliegt,
Der Grieche dringt
Bergan und siegt!

 

Feldherr und Heer verwirklichen den Grundgedanken „Zweihebigkeit“ auf sehr unterschiedliche Weise; hier die ungereimten, trochäischen Verse, durch die der Satz ungehindert fließt und die so kaum als Einheit erfahrbar werden, dort die gereimten iambischen Verse, bei denen die Sätze sich in die Versrahmen fügen und dadurch sehr kurz werden, sehr abgehackt und gehetzt klingen!

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Erzählverse: Der trochäische Vierheber (48)

In Ferdinand von Saars „An eine junge Holländerin“, entstanden in Rom im Herbst 1873, betrachtet das „Ich“ im Bahnhof eine junge Frau, bis schließlich deren Zug eintrifft:

 

Horch! Ein Pfiff und laute Rufe.
Türen werden aufgerissen –
Und schon trittst du, rasch den Schleier
Niederlassend, mit den Deinen
Zarten Fußes auf die Schienen,
Wo du im Waggon verschwindest. –
Träumend steh‘ ich vor dem Zuge,
Der zu neuem Lauf sich rüstet
Mit Gestöhn und wildem Schnauben.
Jetzt ein Ruck – ein leises Rollen –
Und er führt dich in die Weite,
Rascher immer, immer mächt’ger
Vorwärts drängend. Und ich folg‘ ihm –
Erst mit Blicken, dann im Geiste,
Wie er hineilt durch die hehre
Götterlandschaft mit den alten
Wundervollen Städtebildern
Bis zu jenem hellen, lichten
Marmorbautenkranz am Arno.
Und von da, hinan, hinunter,
Nach Bologna, nach Venedig,
Durch die grünen deutschen Lande,
Fort am Rheinstrom – bis sich endlich
Aus der Flut entfernten Meeres
Deine Vaterstadt emporhebt:
Amsterdam, so reinlich kühlig –

 

Diesen Aufbruch, diese Reise (mit der der Text nicht endet!) helfen die trochäischen Vierheber erfahrbar zu machen?! Wie immer formen sie den Satz eher unauffällig und werden dabei doch als Verse erfahrbar. Dreimal setzt Saar zwar einen harten Zeilensprung – „nach „hehre“, „alten“, „lichten“, aber das kann dem geschlossenen Eindruck der Verse nichts anhaben. Schön gemacht!

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Erzählformen: Der Zweiheber (3)

Die bisher gegebenen Beispiele haben als Vers den iambischen Zweiheber genutzt; das muss aber nicht so sein, im Zweiheber ist jede mögliche Silbenverteilung auch verwirklicht worden. Ludwig Uhlands „Seliger Tod“ nutzt den um eine unbetonte Silbe verlängerten zweihebigen Iambus:

 

Gestorben war ich
Vor Liebeswonne:
Begraben lag ich
In ihren Armen;
Erwecket ward ich
Von ihren Küssen;
Den Himmel sah ich
In ihren Augen.

 

Ja. Inhaltlich ein liebenswürdiges und schön gebautes Nichts; aber seine Wirkung geht viel weniger vom verwendeten Versmaß aus als mehr von der Art, wie sich der kurze Vers und der Satz zueinander verhalten?!