Erzählverse: Der Blankvers (2)

Dieser Beitrag soll ganz allgemein von der „Zäsur“ handeln; vom Einschnitt im Versinneren. Einfach, weil das für einen Vers eine wichtige Größe ist!

Allerdings nicht für jeden Vers. Alternierende Verse mit vier Betonungen kommen auch gut ohne einen Einschnitt aus; Verse mit sechs Betonungen brauchen eigentlich immer einen Einschnitt, da sie sonst „lichtlos“ wirken, wie Emil Staiger das so schön genannt hat – sie haben keine klare, überzeugende Gliederung, sondern wälzen sich dahin wie eine trübe Flut.

Bei Versen mit fünf Betonungen, wie der Blankvers einer ist, liegt die Wahrheit dazwischen: Wenn es sein muss, kommen sie ohne Einschnitt aus, aber die meisten haben einen. Besonders, wenn man gerade erst in das Schreiben solcher Verse einsteigt, empfiehlt es sich, einen Einschnitt zu setzen!

Ich gebe als Beispiel das Ende von Rainer Maria Rilkes „Orpheus. Eurydike. Hermes“, wie der vorige Text von Geibel ziemlich streng in der Erfüllung des „eigentlichen“ Blankvers-Schemas:

Fern aber, dunkel vor dem klaren Ausgang,
stand irgend jemand, dessen Angesicht
nicht zu erkennen war. Er stand und sah,
wie auf dem Streifen eines Wiesenpfads
mit trauervollem Blick der Gott der Botschaft
sich schweigend wandte, der Gestalt zu folgen,
die schon zurückging dieses selben Weges,
den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,
unsicher, sanft und ohne Ungeduld.

„Einschnitt“ meint einen „Sinn-Einschnitt“, der ja oft mit einem Einschnitt im Satz einhergeht (und einer Sprechpause); Satzzeichen sind also meist ein ganz guter Hinweis auf eine Zäsur, auch wenn es da keine vollständige Übereinstimmung gibt! Aber hier nehme ich diese Gleichheit der Einfachheit halber mal an … In den Versen ohne Satzzeichen liegt die Zäsur im allgemeinen zwischen zwei Sinneinheiten:

Fern aber, || dunkel vor dem klaren Ausgang,
stand irgend jemand, || dessen Angesicht
nicht zu erkennen war. || Er stand und sah,
wie auf dem Streifen || eines Wiesenpfads
mit trauervollem Blick || der Gott der Botschaft
sich schweigend wandte, || der Gestalt zu folgen,
die schon zurückging || dieses selben Weges,
den Schritt beschränkt || von langen Leichenbändern,
unsicher, || sanft und ohne Ungeduld.

Wobei, siehe oben, der Einschnitt etwa im letzten Vers auch nach „sanft“ liegen könnte; eine Sprechpause ist da allemal möglich.

Aber, worauf es eigentlich ankommt: Der Einschnitt sitzt in fast jedem Vers an einer anderen Stelle als im Vers davor!

x X x || X x X x X x X x
x X x X x || X x X x X
x X x X x X || x X x X
x X x X x || X x X x X
x X x X x X || x X x X
x X x X x  || X x X x X x
x X x X x || X x X x X x
x X x X || x X x X x X x
x X x || X x X x X x X

Das sorgt dafür, dass die „Teilverse“, die durch dem Einschnitt entstehen, von Vers zu Vers unterschiedlich sind, so dass das Ohr zwar mit jedem Vers die Blankvers-Bewegung übermittelt bekommt, sich aber trotzdem keine Gleichförmigkeit einstellt, da ja die Sinn- und Sprecheinheiten [i]innerhalb[/i] der Grund-Bewegung immer verschieden sind! Zu dieser Wirkung trägt natürlich auch das Versende bei, das ja „betont“ oder „unbetont“ besetzt sein kann.

So, wie ich hier die Einschnitte gesetzt habe (es gibt oft mehr als eine Möglichkeit), sind nur zwei benachbarte Verse im Aufbau völlig gleich:

sich schweigend wandte, der Gestalt zu folgen,
die schon zurückging dieses selben Weges,

Aber auch die unterscheiden sich spätestens im Vortrag; ich glaube zum Beispiel, dass ich nicht gegen die Sprache handele, wenn ich im zweiten Vers im vorderen Teil „x x x X X“ lese, „die schon zurückging, während der erste Vers hier ruhig wechselt zwischen betont und unbetont; und umgekehrt in der zweiten Hälfte des ersten Verses „x x X x X x“ „der Gestalt zu folgen“, während diesmal die zweite Hälfte des zweitens Verses den strengen Wechsel hat.

Na, wie auch immer die Feinheiten hier aussehen – was ich vermitteln möchte, ist einfach dieses: „Du sollst deinen Leser-Hörer nicht langweilen“ ist der allererste Grundsatz allen Schreibens, und beim Verse-Schreiben ist eine von vielen Stellen, an denen man das Nicht-Langweilen erreichen kann, der innere Bau des Verses, der maßgeblich durch seine Zäsur bestimmt wird.

Wer den Blankvers selbst versucht, muss jetzt nicht bei jedem Vers peinlich genau auf einen Einschnitt achten, keine Sorge! Aber dass er da ist, und wirkt; das zu wissen hilft schon viel, sowohl beim Schreiben als auch beim Lesen.

Erzählverse: Der Blankvers (1)

Der Blankvers kam zuerst in England auf, das war in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Zweihundert Jahre später fand er dann in größerem Maße Eingang in die deutsche Dichtung, und seitdem ist er in der einen oder anderen Weise ein Bestandteil des dichterischen Werkzeugkastens geblieben. Im Silbenschema sieht ein Blankvers so aus:

x X x X x X x X x X (x)

Dabei meint X eine betonte Silbe, x eine unbetonte Silbe, und (x) eine unbetonte Silbe, die stehen kann, aber nicht stehen muss. Das heißt dann, in Worten: Ein Blankvers ist ein Vers von zehn oder elf Silben, der abwechselnd betonte und unbetonte Silben enthält; die erste Silbe ist unbetont.

Meistens hat der Vers eine „Zäsur“, einen Einschnitt; deren Stelle im Vers ist aber frei (und daher im Silbenschema nicht eingetragen), und manchmal fehlt sie auch ganz.

Ein Blankvers-Text entsteht, wenn Verse dieser Art gereiht werden, Strophenformen oder eine bestimmte, vorgegebene Versanzahl gibt es nicht.

Blankverse werden untereinander nicht durch Reime verbunden; der Blankvers ist also ein reimloser Vers – daher auch sein Name …

So, das war es eigentlich schon! Damit es nicht zu trocken wird, gebe ich für diese „reine“ Form des Verses gleich mal ein Beispiel, den Anfang von Emanuel Geibels „Eine Seeräubergeschichte. Erzählung eines alten Steuermanns“. Geibel beherrschte alle Versformen sicher, seine Texte sind aber immer etwas dröge, weil sie sich oft mit der reinen Erfüllung der Vers-Vorgaben begnügen. Als Beispiel eignen sie sich darum umso besser!

Wir hatten Öl geladen und Korinthen
Und segelten vergnügt mit unsrer Fracht
Von Malta auf Gibraltar, Jochen Schütt,
Der Lüb’sche Kapitän, mit fünf Matrosen,
Und ich, Hans Kiekebusch, als Steuermann.
Der Wind blies lustig, und wir waren schon
Sardinien vorbei, als hinter uns
Nordoster ein verdächtig Segel aufkam,
Das wie mit Siebenmeilenstiefeln lief.
Bedenklich kuckte Jochen Schütt durch’s Glas
Und schüttelte den Kopf und kuckte wieder,
Und immer länger ward sein schlau Gesicht.
Verdammte Suppe! brach er endlich los,
Der Haifisch soll mich schlucken, wenn das nicht
Tuneser sind, Spitzbuben, die’s auf uns
Und unsern schmucken Schoner abgesehn!
Bei Gott, jetzt heißt es: Alles Weißzeug los
Und stramm gesegelt!

Hier fügen sich die Sätze völlig zwanglos und natürlich in die Verse ein, alles liest sich locker und leicht; wenn der Vers die Sprache formt, dann wirklich nur so weit, dass gerade eben ein Eindruck gestalteter Sprache entsteht, der den Text von der Prosa abhebt.

Alles, was uns etwas seltsam klingt, tut das nicht wegen des Versbaus:

– „Lübsche“ ist heute eher „Lübecker“, geht aber.
– „Sardinien vorbei“ statt „an Sardinien vorbei“ , „Akk. + vorbei“ statt „an + Dat. + vorbei“ war früher die Norm.
– „verdächtig Segel“, „schlau Gesicht“, endungsloses Adjektiv vor Neutrum gab’s in der Literatur bis ins 19. Jahrhundert.
– „Tuneser“ kennt der Duden als Nebenform zu „Tunesier“.

Die einzige Stelle, die etwas eigen klingt, ist der „Spitzbuben“-Vers; darauf soll aber ein späterer Beitrag eingehen. Diesen hier ende ich jetzt und gebe nur noch eine grobe Übersicht, was ich mir so vorstelle als Stoff der weiteren Beiträge:

– Die Zäsur, der Einschnitt: Warum, an welchen Stellen, mit welcher Wirkung?

– Das Versende: Was bewirkt eine betonte Silbe als Vers-Schluss? Was eine unbetonte?

– Zeilensprung: Wie wirkt es, wenn sich Vers und Satz entsprechen, wie, wenn sie es leicht oder stark nicht tun?

– Der Blankvers kann alles: Drama, lyrische Gedichte, erzählende Gedichte … Wo liegen die Unterschiede in der Versbehandlung?

– Was bewirkt das Einstreuen längerer oder kürzerer Verse?

– Wie klingt der Vers, wenn manchmal zwei unbetonte Silben gesetzt werden statt einer?

– Wie verändert sich der Vers, wenn der regelmäßige Wechsel von unbetonter und betonter Silbe im Versinneren missachtet wird?

– Wie passen „nicht-abwechselnde“ Wörter in den Vers (Beispiel: „Spitzbuben“)?

– Wie klingt der Blankvers im Wechselspiel mit anderen Textformen – Prosa, gereimte Verse?

Sicher muss man nicht über alle die gerade angeführten Punkte Bescheid wissen, um schon mal loslegen zu können mit dem Blankverse-Schreiben; aber andererseits schadet es nicht, über all diese Dinge einmal nachgedacht zu haben.

Das Königreich von Sede (2)

Prinz Klappstuhl, heller Lieder voll,
Doch welchem Ohr er singen soll,
Wie ahnungslos!
Ging hin zum Wassergraben;
Darin die Frösche haben
Ihm zugehört, die ganze Nacht,
Und übers Menschsein nachgedacht.

 

Erzählverse: Der iambische Trimeter (3)

Nochmal zurück zu den „Einschnitten an anderen Stellen“ – da kann man eigentlich alles versuchen; nur bei zwei Schnitten ist Vorsicht geboten. Das ist, zum einen, der Schnitt in der genauen Mitte des Verses:

x X x X x X || x X x X x X

Durch diesen Einschnitt zerfällt der Vers in zwei genau gleiche Teilverse, und wenn das in einem Text zu oft geschieht, hört das Ohr am Ende nur noch die kürzeren Verse statt eines unterteilten langen. Das sollte man tunlichst vermeiden, und daher auch diesen Einschnitt wirklich nur sehr selten in den Text lassen!

Der zweite Fall liegt ähnlich – hier gibt es zwei Einschnitte, wogegen an sich nichts zu sagen ist; nur teilen diese beiden Schnitte den Text in drei gleichgroße Teilverse:

x X x X || x X x X || x X x X

Das klingt nicht ganz so deutlich durch wie der erste Fall, aber ich denke, man sollte trotzdem sparsam umgehen mit diesem Einschnitt.

Ich lasse  einen etwas längeren Text von Conrad Ferdinand Meyer folgen. Er hat einen antiken Gegenstand, Achill; für solche Inhalte bietet sich der Vers durch seine Herkunft sicher auch an. Aber eigentlich kann man ihn für jedweden Inhalt nutzen, und man hat es auch!

Am Ende des Textes schaue ich dann noch auf einige Verse mit Hinblick auf die Schnitte.

Der tote Achill

Im Vatikan vor dem vergilbten Marmorsarg,
Dem ringsum bildgeschmückten, träumt ich heute lang,
Betrachtend seines feinen Zierats üppgen Kranz:
Thetis entführt den Sohn, den Rufer in der Schlacht,
Den Renner, dem die Knie erschlaffen, welchem schwer
Die Lider sanken – von Delphinen rings umtanzt,
Im Muschelwagen durch des Meers erregte Flut.
Tritonen, bis zum Schuppengurt umbrandete,
Bärtge Gesellen, schilfbekränztes, stumpfes Volk,
Gebärden sich als Pferdelenker. Es bedarf
Der mutgen Rosse Paar, das, Haupt an kühnem Haupt,
Die weite Flur durchrudert mit dem Schlag des Hufs,
Des Zügels nicht! In des Peliden Waffen hat
Sich schäkernd ein leichtsinniges Gesind geteilt:
Die Nereiden. Eine hebt das Schwert und ziehts
Und lacht und haut und sticht und wundet Licht und Luft.
Ein schlankes Mädchen zielt mit rückgebognem Arm,
In schwachgeballter Faust den unbesiegten Speer,
Der auf und nieder, wie der Waage Balken, schwankt.
Die dritte schiebt der blanken Schulter feinen Bug
Dem Erzschild unter, ganz als zöge sie zu Feld,
Dann deckt damit den sanften Busen gaukelnd sie,
Als schirmt‘ das Eisen eines Kriegers tapfre Brust.
Die vierte – Held, du zürntest, schlummertest du nicht! –
Setzt jubelnd sich den Helm, den wildumflatterten,
Auf das gedankenlose Haupt und nickt damit.
Scherzt Kinder! Nur mit dir ein Wort, Vollendeter!
(Denn mit der Mutter, die dein schlummerschweres Haupt
Im Schoss gebettet hält, der dir das Leben gab,
Der schmerzversunknen Mutter, plaudert es sich nicht.)
Pelide, sprich! Was ist der Tod? Wohin die Fahrt;
Wozu die Waffen? Zu erneutem Lauf und Kampf?
Zu deines Grabes Schmuck und düstern Ehren nur?
Was blitzt auf deinem Schwerte? Deine letzte Tat,
Verglimmend wie der Abend eines heissen Schlachtentags?
Die Morgensonne eines neuen Kampfgefilds?
Bedarfst du deines Schwertes noch, du Schlummernder?
Wohin der Lauf? Zum Hades? Nein, es lügt Homer!
Den Odem neiden einem kleinen Ackerknecht
Sieht nicht dir ähnlich, Heros! Eher fährst
Du einer Geisterinsel bleichem Frieden zu
Und trägst den Myrtenkranz, beseligt und gestillt,
Mit den Geweihten. Doch auch solches ziemt dir nicht!
Was einzig dir geziemt, ist Kampf und Kampfespreis –
Pelide! ein Erwachen schwebt vor deinem Boot
Und schimmert unter deinem mächtgen Augenlid!
Du lebst, Achill? Gib Antwort! Wohin wanderst du?
Er schweigt! Er schweigt. Der Wagen rollt. Ein Triton bläst
Sein Muschelhorn, dass leis und dumpf der Marmor tönt.

Viele Verse haben zwei Einschnitte, und von denen einige die oben beschriebenen Schnitte, die den Vers in vier-vier-vier Silben zerfallen lassen:

Pelide, sprich! || Was ist der Tod? || Wohin die Fahrt;

Wie gesagt – da spricht auch nichts gegen; nur in Mengen sollten solche Verse nicht vorkommen. Dann besser solche:

Wohin der Lauf? || Zum Hades? || Nein, es lügt Homer!

Wieder eine Dreiteilung durch zwei Einschnitte; aber diesmal ist das Siblenverhältnis vier-drei-fünf!

Scherzt Kinder! || Nur mit dir ein Wort, || Vollendeter!

Noch ein anderes Verhältnis, drei-fünf-vier.

Den Renner, || dem die Knie erschlaffen, || welchem schwer

Und noch diese Möglichkeit zum Abschluss: drei-sechs-drei! Alles das und noch mehr ist möglich. Die Verse mit einem Einschnitt haben diesen aber sehr selten genau in der Mitte des Verses! Sicher ein Hinweis, mit diesem Einschnitt vorsichtig zu sein.

In den gezeigten Versen sind die Einschnitte sehr tief, was sie zu guten Beispielen macht; aber die meisten Verse haben natürlich weniger heftige Schnitte, egal, ob es einer ist oder ob zwei vorkommen. Wenn man sich in die Trimeter einschreibt, lohnt es sich auf jeden Fall, Texte wie diesen Vers für Vers durchzugehen und sich die Einschnitte bewusst zu machen; denn von ihrem klugen Einsatz hängt sehr viel ab!

Wobei ich nicht verschweigen möchte, dass dieser Text hier auch steht, weil er mir sehr gut gefällt. Das antike Thema muss man nicht mögen; aber die Art, wie Meyer hier die Sprache fließen und vor allem tönen lässt, hat für mich großen Reiz!

Erzählverse: Der iambische Trimeter (2)

Wie schon erwähnt: Längere Verse brauchen einen Einschnitt, eine Sinn- und damit Sprech-Pause im Versinneren, die sie in Teilverse zerlegt und so davor bewahrt, gestalt- und formlos zu wirken. Im Trimeter kommt dieser Einschnitt in den meisten Fällen entweder nach der fünften Silbe oder nach der siebten Silbe:

x X x X x || X x X x X x X

x X x X x X x || X x X x X

Ein kurzes Gedicht von Emanuel Geibel zeigt, wie diese Einschnitte im wirklichen Text aussehen:

In ein Album
Nach Lamartine

Das Buch des Lebens liest sich nur ein einzig Mal;
Du kannst darin nicht blättern, wie’s dir wohlgefällt,
Noch bei der Stelle weilen, die dich fesselte;
Denn unerbittlich wenden sich die Blätter um.
Zum Abschnitt „Lieben“ kehrten wir zurück, wie gern!
Und sind schon auf der Seite, wo es „Sterben“ heißt.

Hier folgen die Einschnitte im Wechsel mal nach der fünften, mal nach der siebten Silbe. Ich trage sie ein:

Das Buch des Lebens || liest sich nur ein einzig Mal;
Du kannst darin nicht blättern,  || wie’s dir wohlgefällt,
Noch bei der Stelle weilen, || die dich fesselte;
Denn unerbittlich || wenden sich die Blätter um.
Zum Abschnitt „Lieben“ || kehrten wir zurück, wie gern!
Und sind schon auf der Seite,  || wo es „Sterben“ heißt.

Durch diese Einschnitte bekommt der Vers eine ganz bestimmte Bewegung: Die erste Hälfte beginnt immer auf einer unbetonten Silbe und endet auch auf einer unbetonten Silbe; die zweite Hälfte beginnt mit einer betonten Silbe und schließt mit einer betonten Silbe.

Einschnitte an anderen Stellen sind natürlich möglich, nur sollte ein recht hoher Anteil der Verse doch diese Einschnitte nach der fünften und siebten Silbe haben. Was sonst noch möglich ist, verhandelt der nächste Beitrag!

Wie gänzlich anders ein Vers mit der genau gleichen Silbenverteilung, aber anderen Einschnitten sich bewegt und klingt, kann man an Conrad Ferdinand Meyers berühmtem „Die Füße im Feuer“ erkennen. Hier der Anfang:

Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm.
Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß,
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust
Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.

Nicht nur die Haupt-Einschnitte, sondern auch die allermeisten „kleinen“ Sinneinschnitte liegen hinter betonten Silben! Ich versuche wieder, sie einzutragen:

Wild zuckt der Blitz. || In fahlem Lichte | steht ein Turm.
Der Donner rollt. || Ein Reiter kämpft | mit seinem Roß,
Springt ab | und pocht | ans Tor | und lärmt. || Sein Mantel saust
Im Wind. | Er hält || den scheuen Fuchs | am Zügel fest.

Manches kann man natürlich auch anders lesen, aber ich denke, es wird klar, dass dies eine gänzlich andere Art von Vers ist als der „eigentliche“ Trimeter, der einen Einschnitt nach der unbetonten fünften oder siebten Silbe hat; nicht immer, aber in der deutlichen Mehrzahl der Verse.

Erzählverse: Der iambische Trimeter (1)

In tausend Bildern drängt sich’s vor die Seele mir:
Des Scherzes Fülle, dicht am Ernst, und Lieb‘ und Hass

Zwei Beispielverse für die Versart, um die es hier gehen soll, entnommen aus Eduard Mörikes „Lang, lang ist’s her“. Was ist das also für ein Vers, wie ist er gebaut, wie bewegt er sich?!

Der iambische Trimeter ist ursprünglich ein antiker griechischer Vers, der im Zuge der Übersetzung wichtiger Texte gegen Ende des 18. Jahrhunderts seinen Weg in die deutsche Dichtung gefunden hat. Seitdem ist er nicht nur ein griechisches, sondern auch ein deutsches Versmaß; und als solches wird er hier betrachtet unter weitgehender Vernachlässigung seiner antiken Herkunft. So beliebt wie der Hexameter oder der Blankvers wurde er nicht; trotzdem haben viele bedeutende Dichter großartige Stücke in diesem Maß geschrieben!

Wie aber sieht dieser Vers genau aus? Nun: Trimeter sind ungereimte Verse, die im Text ohne strophische Anordnung einfach aneinandergereiht werden. Jeder Trimeter hat zwölf Silben, wobei sich unbetonte und betonte Silben regelmäßig abwechseln. Im Schema sieht das so aus:

x X x X x X x X x X x X

Dabei ist „x“ eine unbetonte Silbe und „X“ eine betonte.

Das wirkt jetzt erst einmal recht schlicht. Zu der reinen Silbenfolge kommen aber noch einige weitere Eigenschaften des Verses, die hier nach und nach vorgestellt werden sollen. Nur knapp das wichtigste:

– Der Vers ist recht lang. Das macht einen Einschnitt etwa in der Mitte des Verses nötig, damit er nicht „breiig“ wirkt, nicht zerfließt; sondern sich fest und klar bewegt. Diese „Zäsur“ ist [b]sehr[/b] wichtig für den guten Klang des Trimeters!

– Das Versende ist in der Versbewegung nicht herausgehoben, das heißt, dieselbe Bewegung – unbetont, betont, unbetont, betont … – geht nahtlos von einem Vers in den nächsten über. Außerdem ist der Trimeter ungereimt. Will man den Versschluss, und damit die Vers-Einheit also verdeutlichen, muss das über den Inhalt geschehen.

– Müsste sich der Trimeter auf das unablässige „unbetont – betont …“ beschränken, wirkte er in längeren Texten sehr eintönig. Um das zu verhindern, sind verschiedene Auflockerungen dieser Grundbewegung möglich – statt einer können zwei unbetonte Silben gesetz werden, es können „versetzte Betonungen“ vorkommen und anderes mehr.

Das soll es dann auch schon gewesen sein für den ersten Beitrag; Ich schließe ihn mit einigen weiteren Beispielversen. Dafür bemühe ich noch einmal Mörike – nicht zu fällig, denn für mich hat er mit die besten Trimeter geschrieben. Am Anfang seiner „erbaulichen Betrachtung“ findet sich ein Vergleich homerischen Ausmaßes, der dabei aber eher idyllisch als heroisch daherkommt:

Als wie im Forst ein Jäger, der, am heißen Tag
Im Eichenschatten ruhend, mit zufriednem Blick
Auf seine Hunde niederschaut, das treue Paar,
Das, Hals um Hals geschlungen, brüderlich den Schlaf,
Und schlafend noch des Jagens Last und Mühe teilt:
So schau ich hier an des Gehölzes Schattenrand
Bei kurzer Rast auf meiner eignen Füße Paar
Hinab, nicht ohne Rührung; in gewissem Sinn
Zum ersten Mal, so alt ich bin, betracht ich sie,
Und bin fürwahr von ihrem Dasein überrascht,
Wie sie, in Schuh’n bis überm Knöchel eingeschnürt,
Bestäubt da vor mir liegen im verlechzten Gras.

Das Königreich von Sede (1)

Prinz Klappstuhl spielt die Plundera.
Des blinden Zufalls Instrument
Erbaut er, wenn der süße Wunsch,
Musik zu machen, ihn ergreift,
Aus allem, was ihn dann umgibt –
Ein Besenstiel, ein leeres Fass,
Zwei Meter Wäscheleine, Draht;
Er wählt, verbindet, knüpft und fügt,
Und hält im Arm: die Plundera.
Und setzt sich, nimmt sie auf den Schoß
– Sehr achtsam, dass sie stille bleibt –
Und schweigt. Der beiden Ruhe hebt
Und weitet sich und füllt die Welt
Mit wunderreinem Wohlklang aus:
Prinz Klappstuhl spielt die Plundera.

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (9)

Neben der Anakreon-Nachfolge und der finnischen Kalevala hat, wie schon erwähnt, der Vierheber noch auf einem anderen Weg Einzug in die deutsche Dichtung gehalten: über die Übersetzung von spanischen Texten und die darin verwendeten „spanischen Trochäen“. Den Anfang machte dabei Johann Gottfried Herder, der Romanzen um „El Cid“, den spanischen Nationalhelden, ins Deutsche übertrug. Seine Verse lesen sich so:

Lärm und Schlachten, Blut und Feuer,
Kriegesstimmen allenthalben,
Trommeln, Pauken und Drommeten
Schallen in Kastilien laut.

Denn kaum hatte mit den Brüdern
Seines Vaters Sarg Don Sancho
Mitbegleitet an die Gruft,
Steigt er auf sein Ross, und blasen,
Blasen läßt er allenthalben
Gegen seine Brüder Krieg.

Klingt schon mal recht episch; eines Nationalhelden würdig! Was Herder hier nicht umsetzt, ist eine typische Eigenschaft der ursprünglichen Romanzendichtung: die Assonanz. In den gereihten spanischen Romanzen-Versen sind nämlich immer die letzten betonten Silben der geradzahligen Verse durch den gleichen Vokal verbunden, bei unterschiedlichen Konsonaten (sonst wäre es ein Reim). Das haben die deutschen Dichter nach Herder dann gleichfalls so gehalten, zum Beispiel Joseph von Eichendorff in einem sehr kurzen Text:

Der Seemann

Früh am Sankt Johannistag
Fiel ein Seemann in das Wasser.
Was erhalt ich, Schifferlein,
Wenn ich rette dich zum Strande?
Geb‘ dir alle meine Schiffe
Samt der Gold- und Silberladung.
Nicht nach allen deinen Schiffen,
Deinem Gold und Silber frag ich,
Deine Seele, wenn du stirbst,
Will ich nur zum Lohne haben.
Meine Seel‘ empfange Gott,
und den Leib das salz’ge Wasser!

Jaja. Da sieht man, erstens: Was Eichendorff angezogen hat an der spanischen Dichtung – der „katholische Gehalt“; zweitens, dass Eichendorff so recht nicht aus seiner dichterischen Haut konnte; und drittens, und das ist hier das wichtige – die geradzahligen Verse haben als letzten betonten Vokal alle ein „a“!

Das ist eine viel weniger auffällige Art, Gleichklangwirkungen in einen Text zu bringen, als ein Reim; wer es mal versuchen möchte, kann sich ja bei den deutschen Romanzendichtern umschauen und einlesen! Ich denke, das lohnt sich; auch, weil ein Reim ja immer neben der Aufmerksamkeit, die er verlangt, und die anderen Gestaltungsmerkmalen des Textes dann fehlt, auch den Satz formt und der Dichter es dadurch schwerer hat, den Text „fließen“ zu lassen.

Nach den beiden damit vorgestellten Abwandlungsmöglichkeiten des gereihten, ungereimten trochäischen Vierhebers – Strophe und Assonanz –  möchte ich aber im nächsten Beitrag wieder zurück zum eigentlichen Vers.

Als Übergang hänge ich hier noch Conrad Ferdinand Meyers „Camoëns“ an. Portugal also, nicht Spanien, und „Nationaldichter“, nicht „Nationalheld“ … Und auch kein wirklich tief beeindruckendes Werk; aber wie Meyers „Don Fadrique“ den kleinen Abstecher in den Süden eingeleitet hat, so beschließt ihn nun sein „Camoëns“ – ganz ohne Strophen und ohne Assonanzen!

Camoëns, der Musen Liebling,
Lag erkrankt im Hospitale.
In derselben armen Kammer
Lag ein Schüler aus Coimbra,
Ihm des Tages Stunden kürzend
Mit unendlichem Geplauder.

„Edler Herr und großer Dichter,
Was sie melden, ist es Wahrheit?
Dass gescheitert eines Tages
Am Gestad von Coromandel
Sei das undankbare Fahrzeug,
Das beehrt war, Euch zu tragen?
Dass Ihr, kämpfend in der Brandung,
Mit der Rechten kühn gerudert,
Doch in ausgestreckter Linken
Unerreicht vom Wellenwurfe
Hieltet Eures Liedes Handschrift?
Schwer wird solches mir zu glauben.
Herr, auch mir, wann ich verliebt bin,
Sind Apollos Schwestern günstig;
Aber ging‘ es mir ans Leben,
Flattern meine schönsten Verse
Ließ‘ ich wahrlich mit dem Winde,
Brauchte meine beiden Arme!“

Antwort gab der Dichter lächelnd:
„Solches tat ich, Freund, in Wahrheit,
Ringend auf dem Meer des Lebens!
Wider Bosheit, Neid, Verleumdung
Kämpft ich um des Tages Notdurft
Mit dem einen dieser Arme.
Mit dem andern dieser Arme
Hielt ich über Tod und Abgrund
In des Sonnengottes Strahlen
Mein Gedicht, die Lusiaden,
Bis sie wurden, was sie bleiben.“

… Nämlich die portugisische Nationaldichtung, und das bis heute.

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (8)

Gegenstand dieses Fadens war bisher der ungereimte, gereihte trochäische Vierheber; und er soll es auch bleiben. In diesem Beitrag gehe ich aber einen Schritt weg vom geraden Wege und werfe einen Blick auf Texte, die den ungereimten trochäischen Vierheber nicht  gereiht, sondern mehr oder weniger strophisch verwenden!

Am üblichsten sind da sicher vierzeilige Strophen. Ein sehr bekanntes Gedicht in diesem Maß ist Heinrich Heines „Der Asra“; ich möchte hier aber einen weniger bekannten Text vorstellen, Conrad Ferdinand Meyers „Auf dem Canal grande“:

Auf dem Canal grande betten
Tief sich ein die Abendschatten,
Hundert dunkle Gondeln gleiten
Als ein flüsterndes Geheimnis.

Aber zwischen zwei Palästen
Glüht herein die Abendsonne,
Flammend wirft sie einen grellen
Breiten Streifen auf die Gondeln.

In dem purpurroten Lichte
Laute Stimmen, hell Gelächter,
Überredende Gebärden
Und das frevle Spiel der Augen.

Eine kleine, kurze Strecke
Treibt das Leben leidenschaftlich
Und erlischt im Schatten drüben
Als ein unverständlich Murmeln.

Genau wie „Der Asra“ vier Strophen mit vier Zeilen, und hier wie da sind die Strophen auch deutlich als Strophen zu erkennen: Jede enthält einen eigenständigen Teil des vorgestellten Geschehens. Dadurch fließt die Sprache nicht so frei wie in den bisher betrachteten Texten, nach je vier Zeilen kommt ein Einschnitt, ein Haltepunkt; aber über vier Strophen lässt sich das gut aushalten, und der Verfasser kann diesen strophischen Rahmen auch sicher nutzen, um einen Text auf eine Art und Weise aufzubauen, die ihm bei fortlaufenden Vierhebern nicht zur Verfügung stände?!

Will man in solchen vierzeiligen Einheiten längere Strecken erzählen, verwischen die Strophengrenzen naturgemäß – die Sinneinschnitte am Strophenende sind nicht mehr so stark, und oft fließt die Handlung einfach über die Strophengrenze hinweg. Ein Beispiel dafür borge ich mir bei Heine, der seine zahlreichen Vierheber-Texte grundsätzlich so abgeteilt hat.

Ziemlich am Anfang des über 200 Strophen langen „Jehuda ben Halevy“ geht es um die berühmten „Hängenden Gärten der Semiramis“:

Königin Semiramis,
Die als Kind erzogen worden
Von den Vögeln, und gar manche
Vögeltümlichkeit bewahrte,

Wollte nicht auf platter Erde
Promenieren wie wir andern
Säugetiere, und sie pflanzte
Einen Garten in der Luft –

Hoch auf kolossalen Säulen
Prangten Palmen und Zypressen,
Goldorangen, Blumenbeete,
Marmorbilder, auch Springbrunnen,

Alles klug und fest verbunden
Durch unzähl’ge Hängebrücken,
Die wie Schlingepflanzen aussahn
Und worauf sich Vögel wiegten –

Große, bunte, ernste Vögel,
Tiefe Denker, die nicht singen,
Während sie umflattert kleines
Zeisigvolk, das lustig trillert –

Alle atmen ein, beseligt,
Einen reinen Balsamduft,
Welcher unvermischt mit schnödem
Erdendunst und Missgeruche.

Da ist der „Heine-Ton“ recht deutlich zu hören … Wichtiger im Rahmen dieses Fadens ist aber die Art, in der Sprache, Satz und Sinn unbekümmert von einer Strophe zur anderen springen: die Stropheneinteilung ist hier nicht viel mehr als eine Hilfe fürs Leserauge!

Der Beachtung wert ist noch die zweite Strophe. Heine lässt in mancher Strophe einen Vers mit einer betonten Silbe enden; das lockert den Text angenehm auf. Für den allgemeinen Aufbau solcher Texte spannend ist dieses Vorgehen, wenn ein solcher betont endender Vers am Schluss der Strophe steht, wie hier in der zweiten gezeigten Strophe:

Einen Garten in der Luft –

Macht man das als Verfasser durchgängig, stärkt das natürlich die Wahrnehmung der einzelnen Strophen, denn die betonte Silbe und die anschließende Pause, die die fehlende unbetonte Silbe vertritt, heben sich meist deutlich heraus!

Das ergibt dann wieder ein etwas anderes Erzählen, der Text wird wieder kleinteiliger; und auch fester. Damit kann man dann Ernsteres erzählen, wie Conrad Ferdinand Meyer in „Kaiser Friedrich der Zweite“:

In den Armen seines Jüngsten
Phantasiert der sieche Kaiser,
An dem treuen Herzen Manfreds
Kämpft er seinen Todeskampf.

Aber da belasse ich es bei der ersten Strophe und schließe diesen Beitrag lieber mit einem eher heiter-verspielten Text Meyers, mit den ersten vier Strophen von „Don Fadrique“. Auch hier gibt es den betonten Strophenschluss:

Don Fadrique bringt ein Ständchen
Der possierlichen Pepita:
„Liebchen, strecke durch die Türe
Deines Füßchens Spitze nur!“

Und die drollige Pepita
Streckt durch eine schmale Spalte
Eines allerliebsten Fußes
Weißes Spitzchen in die Luft.

Don Fadrique krümmt den Rücken,
Will das weiße Spitzchen küssen,
Knabe Amor steht beiseite,
Der den Bogen lachend spannt.

Nach dem ewigjungen Herzen
Zielt er, doch wer lacht, der zielt schlecht:
In des Ritters alten Rücken
Schießt er einen Hexenschuss.

So geht das dann … Aber man sieht: Es muss nicht immer „gereiht“ sein, auch „strophisch“ hat seinen Reiz; und zwischen diesen beiden Möglichkeiten gibt es reichlich Mischformen, so dass eigentlich für jeden Schreibenden etwas dabei sein sollte.