Friedrich Georg Jüngers „Griechische Mythen“ (Klostermann 1957) ist ein lesenswertes Buch. Es handelt, der Titel lässt es ahnen, von Titanen, Göttern und Heroen, doch auch von anderem; so vom „Numen“.
„Numen“, schreibt Jünger am Anfang des entsprechenden Kapitels (Seite 219), „ist die Begegnung, die Berührung des Menschen mit der Gottheit“. Später dann, auf Seite 235, geht es um „Numen & Sprache“:
„Auch die Sprache wird durch das Numen bestimmt; ihr Nomos ist vom Numen noch nicht abgetrennt. Dieser Zusammenhang bleibt dem Verstande verborgen, der nur logische und grammatische Anliegen an die Sprache hat. Wo das Wort nur als logos semantikos genommen wird, dort ist vergessen, dass es andere, einschneidendere Aufgaben hatte. In einer Sprache, die nur der Verständigung dient, ist das Numen nicht mehr anzutreffen, deshalb kommt es in ihr auch nicht mehr zu Verwandlungen. In ihr bleiben nur die Bezüge zurück, das heißt die Bezeichnungen und Bedeutungen. Der Verstand geht in dieser Richtung dem Unternehmen nach, aus der Sprache das auszusondern, was sie zur Sprache macht, und er tut es mit der Begründung, die Genauigkeit der Sprache erhöhen zu wollen, ihre logische Gültigkeit, Verbindlichkeit und Widerspruchsfreiheit, das heißt ihre Verständigkeit und Mitteilbarkeit. Auf diesem Wege wird die Sprache Präparat und scheint, indem sie prä-parat wird, die größte Fertigkeit und Brauchbarkeit zu gewinnen. Fertigkeit liegt in dem, was sich unbekümmert brauchen lässt. Da die Brauchbarkeit des Verbrauchens wegen da ist, würde eine solche Sprache vor allem zum Verzehr und Verbrauch der Dinge da sein, des Fressens und Verschlingens wegen. Sie gliche der Sprache der Neugierigen, die auch des Verschlingens wegen da ist und immer etwas Hungriges hat. Wird die Sprache zu einem Kalkül umgeschaffen, so ist der Weg dazu, dass aus ihr auf rechnerische Weise das Sprachliche entfernt wird. Es gilt aber zu erkennen, dass die Sprache im mythischen Bereich nicht zunächst der Verständigung und Mitteilung dient, sondern des Zeugens und der Verwandlungen wegen da ist. Verwandeln aber kann sie nur, insofern sie das Numen einschließt, denn auf andere Weise gelingt es ihr nicht.“
„Nomos“ meint, ganz grob: „Gesetz“. Was man insgesamt davon an- und mitnimmt und was nicht, muss man schauen … Ein wenig darüber nachzudenken lohnt sich jedenfalls, finde ich; auch wenn es nur den „mythischen Bereich“ betrifft.
„Der Verstand entwickelt, die Imagination verwandelt“, sagt Jünger wenig später (Seite 237) noch, und, im Anschluss: „Eine Ahnung von diesem Verhalt haben nur noch die Dichter, an die deshalb das Schicksal der Sprache gebunden ist. Eine Sprache ohne Numen ist tot.“