Erzählverse: Der iambische Trimeter (3)
Nochmal zurück zu den „Einschnitten an anderen Stellen“ – da kann man eigentlich alles versuchen; nur bei zwei Schnitten ist Vorsicht geboten. Das ist, zum einen, der Schnitt in der genauen Mitte des Verses:
x X x X x X || x X x X x X
Durch diesen Einschnitt zerfällt der Vers in zwei genau gleiche Teilverse, und wenn das in einem Text zu oft geschieht, hört das Ohr am Ende nur noch die kürzeren Verse statt eines unterteilten langen. Das sollte man tunlichst vermeiden, und daher auch diesen Einschnitt wirklich nur sehr selten in den Text lassen!
Der zweite Fall liegt ähnlich – hier gibt es zwei Einschnitte, wogegen an sich nichts zu sagen ist; nur teilen diese beiden Schnitte den Text in drei gleichgroße Teilverse:
x X x X || x X x X || x X x X
Das klingt nicht ganz so deutlich durch wie der erste Fall, aber ich denke, man sollte trotzdem sparsam umgehen mit diesem Einschnitt.
Ich lasse einen etwas längeren Text von Conrad Ferdinand Meyer folgen. Er hat einen antiken Gegenstand, Achill; für solche Inhalte bietet sich der Vers durch seine Herkunft sicher auch an. Aber eigentlich kann man ihn für jedweden Inhalt nutzen, und man hat es auch!
Am Ende des Textes schaue ich dann noch auf einige Verse mit Hinblick auf die Schnitte.
Der tote Achill
Im Vatikan vor dem vergilbten Marmorsarg,
Dem ringsum bildgeschmückten, träumt ich heute lang,
Betrachtend seines feinen Zierats üppgen Kranz:
Thetis entführt den Sohn, den Rufer in der Schlacht,
Den Renner, dem die Knie erschlaffen, welchem schwer
Die Lider sanken – von Delphinen rings umtanzt,
Im Muschelwagen durch des Meers erregte Flut.
Tritonen, bis zum Schuppengurt umbrandete,
Bärtge Gesellen, schilfbekränztes, stumpfes Volk,
Gebärden sich als Pferdelenker. Es bedarf
Der mutgen Rosse Paar, das, Haupt an kühnem Haupt,
Die weite Flur durchrudert mit dem Schlag des Hufs,
Des Zügels nicht! In des Peliden Waffen hat
Sich schäkernd ein leichtsinniges Gesind geteilt:
Die Nereiden. Eine hebt das Schwert und ziehts
Und lacht und haut und sticht und wundet Licht und Luft.
Ein schlankes Mädchen zielt mit rückgebognem Arm,
In schwachgeballter Faust den unbesiegten Speer,
Der auf und nieder, wie der Waage Balken, schwankt.
Die dritte schiebt der blanken Schulter feinen Bug
Dem Erzschild unter, ganz als zöge sie zu Feld,
Dann deckt damit den sanften Busen gaukelnd sie,
Als schirmt‘ das Eisen eines Kriegers tapfre Brust.
Die vierte – Held, du zürntest, schlummertest du nicht! –
Setzt jubelnd sich den Helm, den wildumflatterten,
Auf das gedankenlose Haupt und nickt damit.
Scherzt Kinder! Nur mit dir ein Wort, Vollendeter!
(Denn mit der Mutter, die dein schlummerschweres Haupt
Im Schoss gebettet hält, der dir das Leben gab,
Der schmerzversunknen Mutter, plaudert es sich nicht.)
Pelide, sprich! Was ist der Tod? Wohin die Fahrt;
Wozu die Waffen? Zu erneutem Lauf und Kampf?
Zu deines Grabes Schmuck und düstern Ehren nur?
Was blitzt auf deinem Schwerte? Deine letzte Tat,
Verglimmend wie der Abend eines heissen Schlachtentags?
Die Morgensonne eines neuen Kampfgefilds?
Bedarfst du deines Schwertes noch, du Schlummernder?
Wohin der Lauf? Zum Hades? Nein, es lügt Homer!
Den Odem neiden einem kleinen Ackerknecht
Sieht nicht dir ähnlich, Heros! Eher fährst
Du einer Geisterinsel bleichem Frieden zu
Und trägst den Myrtenkranz, beseligt und gestillt,
Mit den Geweihten. Doch auch solches ziemt dir nicht!
Was einzig dir geziemt, ist Kampf und Kampfespreis –
Pelide! ein Erwachen schwebt vor deinem Boot
Und schimmert unter deinem mächtgen Augenlid!
Du lebst, Achill? Gib Antwort! Wohin wanderst du?
Er schweigt! Er schweigt. Der Wagen rollt. Ein Triton bläst
Sein Muschelhorn, dass leis und dumpf der Marmor tönt.
Viele Verse haben zwei Einschnitte, und von denen einige die oben beschriebenen Schnitte, die den Vers in vier-vier-vier Silben zerfallen lassen:
Pelide, sprich! || Was ist der Tod? || Wohin die Fahrt;
Wie gesagt – da spricht auch nichts gegen; nur in Mengen sollten solche Verse nicht vorkommen. Dann besser solche:
Wohin der Lauf? || Zum Hades? || Nein, es lügt Homer!
Wieder eine Dreiteilung durch zwei Einschnitte; aber diesmal ist das Siblenverhältnis vier-drei-fünf!
Scherzt Kinder! || Nur mit dir ein Wort, || Vollendeter!
Noch ein anderes Verhältnis, drei-fünf-vier.
Den Renner, || dem die Knie erschlaffen, || welchem schwer
Und noch diese Möglichkeit zum Abschluss: drei-sechs-drei! Alles das und noch mehr ist möglich. Die Verse mit einem Einschnitt haben diesen aber sehr selten genau in der Mitte des Verses! Sicher ein Hinweis, mit diesem Einschnitt vorsichtig zu sein.
In den gezeigten Versen sind die Einschnitte sehr tief, was sie zu guten Beispielen macht; aber die meisten Verse haben natürlich weniger heftige Schnitte, egal, ob es einer ist oder ob zwei vorkommen. Wenn man sich in die Trimeter einschreibt, lohnt es sich auf jeden Fall, Texte wie diesen Vers für Vers durchzugehen und sich die Einschnitte bewusst zu machen; denn von ihrem klugen Einsatz hängt sehr viel ab!
Wobei ich nicht verschweigen möchte, dass dieser Text hier auch steht, weil er mir sehr gut gefällt. Das antike Thema muss man nicht mögen; aber die Art, wie Meyer hier die Sprache fließen und vor allem tönen lässt, hat für mich großen Reiz!
Erzählverse: Der iambische Trimeter (2)
Wie schon erwähnt: Längere Verse brauchen einen Einschnitt, eine Sinn- und damit Sprech-Pause im Versinneren, die sie in Teilverse zerlegt und so davor bewahrt, gestalt- und formlos zu wirken. Im Trimeter kommt dieser Einschnitt in den meisten Fällen entweder nach der fünften Silbe oder nach der siebten Silbe:
x X x X x || X x X x X x X
x X x X x X x || X x X x X
Ein kurzes Gedicht von Emanuel Geibel zeigt, wie diese Einschnitte im wirklichen Text aussehen:
In ein Album
Nach Lamartine
Das Buch des Lebens liest sich nur ein einzig Mal;
Du kannst darin nicht blättern, wie’s dir wohlgefällt,
Noch bei der Stelle weilen, die dich fesselte;
Denn unerbittlich wenden sich die Blätter um.
Zum Abschnitt „Lieben“ kehrten wir zurück, wie gern!
Und sind schon auf der Seite, wo es „Sterben“ heißt.
Hier folgen die Einschnitte im Wechsel mal nach der fünften, mal nach der siebten Silbe. Ich trage sie ein:
Das Buch des Lebens || liest sich nur ein einzig Mal;
Du kannst darin nicht blättern, || wie’s dir wohlgefällt,
Noch bei der Stelle weilen, || die dich fesselte;
Denn unerbittlich || wenden sich die Blätter um.
Zum Abschnitt „Lieben“ || kehrten wir zurück, wie gern!
Und sind schon auf der Seite, || wo es „Sterben“ heißt.
Durch diese Einschnitte bekommt der Vers eine ganz bestimmte Bewegung: Die erste Hälfte beginnt immer auf einer unbetonten Silbe und endet auch auf einer unbetonten Silbe; die zweite Hälfte beginnt mit einer betonten Silbe und schließt mit einer betonten Silbe.
Einschnitte an anderen Stellen sind natürlich möglich, nur sollte ein recht hoher Anteil der Verse doch diese Einschnitte nach der fünften und siebten Silbe haben. Was sonst noch möglich ist, verhandelt der nächste Beitrag!
Wie gänzlich anders ein Vers mit der genau gleichen Silbenverteilung, aber anderen Einschnitten sich bewegt und klingt, kann man an Conrad Ferdinand Meyers berühmtem „Die Füße im Feuer“ erkennen. Hier der Anfang:
Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm.
Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß,
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust
Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.
Nicht nur die Haupt-Einschnitte, sondern auch die allermeisten „kleinen“ Sinneinschnitte liegen hinter betonten Silben! Ich versuche wieder, sie einzutragen:
Wild zuckt der Blitz. || In fahlem Lichte | steht ein Turm.
Der Donner rollt. || Ein Reiter kämpft | mit seinem Roß,
Springt ab | und pocht | ans Tor | und lärmt. || Sein Mantel saust
Im Wind. | Er hält || den scheuen Fuchs | am Zügel fest.
Manches kann man natürlich auch anders lesen, aber ich denke, es wird klar, dass dies eine gänzlich andere Art von Vers ist als der „eigentliche“ Trimeter, der einen Einschnitt nach der unbetonten fünften oder siebten Silbe hat; nicht immer, aber in der deutlichen Mehrzahl der Verse.
Erzählverse: Der iambische Trimeter (1)
In tausend Bildern drängt sich’s vor die Seele mir:
Des Scherzes Fülle, dicht am Ernst, und Lieb‘ und Hass
Zwei Beispielverse für die Versart, um die es hier gehen soll, entnommen aus Eduard Mörikes „Lang, lang ist’s her“. Was ist das also für ein Vers, wie ist er gebaut, wie bewegt er sich?!
Der iambische Trimeter ist ursprünglich ein antiker griechischer Vers, der im Zuge der Übersetzung wichtiger Texte gegen Ende des 18. Jahrhunderts seinen Weg in die deutsche Dichtung gefunden hat. Seitdem ist er nicht nur ein griechisches, sondern auch ein deutsches Versmaß; und als solches wird er hier betrachtet unter weitgehender Vernachlässigung seiner antiken Herkunft. So beliebt wie der Hexameter oder der Blankvers wurde er nicht; trotzdem haben viele bedeutende Dichter großartige Stücke in diesem Maß geschrieben!
Wie aber sieht dieser Vers genau aus? Nun: Trimeter sind ungereimte Verse, die im Text ohne strophische Anordnung einfach aneinandergereiht werden. Jeder Trimeter hat zwölf Silben, wobei sich unbetonte und betonte Silben regelmäßig abwechseln. Im Schema sieht das so aus:
x X x X x X x X x X x X
Dabei ist „x“ eine unbetonte Silbe und „X“ eine betonte.
Das wirkt jetzt erst einmal recht schlicht. Zu der reinen Silbenfolge kommen aber noch einige weitere Eigenschaften des Verses, die hier nach und nach vorgestellt werden sollen. Nur knapp das wichtigste:
– Der Vers ist recht lang. Das macht einen Einschnitt etwa in der Mitte des Verses nötig, damit er nicht „breiig“ wirkt, nicht zerfließt; sondern sich fest und klar bewegt. Diese „Zäsur“ ist [b]sehr[/b] wichtig für den guten Klang des Trimeters!
– Das Versende ist in der Versbewegung nicht herausgehoben, das heißt, dieselbe Bewegung – unbetont, betont, unbetont, betont … – geht nahtlos von einem Vers in den nächsten über. Außerdem ist der Trimeter ungereimt. Will man den Versschluss, und damit die Vers-Einheit also verdeutlichen, muss das über den Inhalt geschehen.
– Müsste sich der Trimeter auf das unablässige „unbetont – betont …“ beschränken, wirkte er in längeren Texten sehr eintönig. Um das zu verhindern, sind verschiedene Auflockerungen dieser Grundbewegung möglich – statt einer können zwei unbetonte Silben gesetz werden, es können „versetzte Betonungen“ vorkommen und anderes mehr.
Das soll es dann auch schon gewesen sein für den ersten Beitrag; Ich schließe ihn mit einigen weiteren Beispielversen. Dafür bemühe ich noch einmal Mörike – nicht zu fällig, denn für mich hat er mit die besten Trimeter geschrieben. Am Anfang seiner „erbaulichen Betrachtung“ findet sich ein Vergleich homerischen Ausmaßes, der dabei aber eher idyllisch als heroisch daherkommt:
Als wie im Forst ein Jäger, der, am heißen Tag
Im Eichenschatten ruhend, mit zufriednem Blick
Auf seine Hunde niederschaut, das treue Paar,
Das, Hals um Hals geschlungen, brüderlich den Schlaf,
Und schlafend noch des Jagens Last und Mühe teilt:
So schau ich hier an des Gehölzes Schattenrand
Bei kurzer Rast auf meiner eignen Füße Paar
Hinab, nicht ohne Rührung; in gewissem Sinn
Zum ersten Mal, so alt ich bin, betracht ich sie,
Und bin fürwahr von ihrem Dasein überrascht,
Wie sie, in Schuh’n bis überm Knöchel eingeschnürt,
Bestäubt da vor mir liegen im verlechzten Gras.
Das Königreich von Sede (1)
Prinz Klappstuhl spielt die Plundera.
Des blinden Zufalls Instrument
Erbaut er, wenn der süße Wunsch,
Musik zu machen, ihn ergreift,
Aus allem, was ihn dann umgibt –
Ein Besenstiel, ein leeres Fass,
Zwei Meter Wäscheleine, Draht;
Er wählt, verbindet, knüpft und fügt,
Und hält im Arm: die Plundera.
Und setzt sich, nimmt sie auf den Schoß
– Sehr achtsam, dass sie stille bleibt –
Und schweigt. Der beiden Ruhe hebt
Und weitet sich und füllt die Welt
Mit wunderreinem Wohlklang aus:
Prinz Klappstuhl spielt die Plundera.
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (9)
Neben der Anakreon-Nachfolge und der finnischen Kalevala hat, wie schon erwähnt, der Vierheber noch auf einem anderen Weg Einzug in die deutsche Dichtung gehalten: über die Übersetzung von spanischen Texten und die darin verwendeten „spanischen Trochäen“. Den Anfang machte dabei Johann Gottfried Herder, der Romanzen um „El Cid“, den spanischen Nationalhelden, ins Deutsche übertrug. Seine Verse lesen sich so:
Lärm und Schlachten, Blut und Feuer,
Kriegesstimmen allenthalben,
Trommeln, Pauken und Drommeten
Schallen in Kastilien laut.
Denn kaum hatte mit den Brüdern
Seines Vaters Sarg Don Sancho
Mitbegleitet an die Gruft,
Steigt er auf sein Ross, und blasen,
Blasen läßt er allenthalben
Gegen seine Brüder Krieg.
Klingt schon mal recht episch; eines Nationalhelden würdig! Was Herder hier nicht umsetzt, ist eine typische Eigenschaft der ursprünglichen Romanzendichtung: die Assonanz. In den gereihten spanischen Romanzen-Versen sind nämlich immer die letzten betonten Silben der geradzahligen Verse durch den gleichen Vokal verbunden, bei unterschiedlichen Konsonaten (sonst wäre es ein Reim). Das haben die deutschen Dichter nach Herder dann gleichfalls so gehalten, zum Beispiel Joseph von Eichendorff in einem sehr kurzen Text:
Der Seemann
Früh am Sankt Johannistag
Fiel ein Seemann in das Wasser.
Was erhalt ich, Schifferlein,
Wenn ich rette dich zum Strande?
Geb‘ dir alle meine Schiffe
Samt der Gold- und Silberladung.
Nicht nach allen deinen Schiffen,
Deinem Gold und Silber frag ich,
Deine Seele, wenn du stirbst,
Will ich nur zum Lohne haben.
Meine Seel‘ empfange Gott,
und den Leib das salz’ge Wasser!
Jaja. Da sieht man, erstens: Was Eichendorff angezogen hat an der spanischen Dichtung – der „katholische Gehalt“; zweitens, dass Eichendorff so recht nicht aus seiner dichterischen Haut konnte; und drittens, und das ist hier das wichtige – die geradzahligen Verse haben als letzten betonten Vokal alle ein „a“!
Das ist eine viel weniger auffällige Art, Gleichklangwirkungen in einen Text zu bringen, als ein Reim; wer es mal versuchen möchte, kann sich ja bei den deutschen Romanzendichtern umschauen und einlesen! Ich denke, das lohnt sich; auch, weil ein Reim ja immer neben der Aufmerksamkeit, die er verlangt, und die anderen Gestaltungsmerkmalen des Textes dann fehlt, auch den Satz formt und der Dichter es dadurch schwerer hat, den Text „fließen“ zu lassen.
Nach den beiden damit vorgestellten Abwandlungsmöglichkeiten des gereihten, ungereimten trochäischen Vierhebers – Strophe und Assonanz – möchte ich aber im nächsten Beitrag wieder zurück zum eigentlichen Vers.
Als Übergang hänge ich hier noch Conrad Ferdinand Meyers „Camoëns“ an. Portugal also, nicht Spanien, und „Nationaldichter“, nicht „Nationalheld“ … Und auch kein wirklich tief beeindruckendes Werk; aber wie Meyers „Don Fadrique“ den kleinen Abstecher in den Süden eingeleitet hat, so beschließt ihn nun sein „Camoëns“ – ganz ohne Strophen und ohne Assonanzen!
Camoëns, der Musen Liebling,
Lag erkrankt im Hospitale.
In derselben armen Kammer
Lag ein Schüler aus Coimbra,
Ihm des Tages Stunden kürzend
Mit unendlichem Geplauder.
„Edler Herr und großer Dichter,
Was sie melden, ist es Wahrheit?
Dass gescheitert eines Tages
Am Gestad von Coromandel
Sei das undankbare Fahrzeug,
Das beehrt war, Euch zu tragen?
Dass Ihr, kämpfend in der Brandung,
Mit der Rechten kühn gerudert,
Doch in ausgestreckter Linken
Unerreicht vom Wellenwurfe
Hieltet Eures Liedes Handschrift?
Schwer wird solches mir zu glauben.
Herr, auch mir, wann ich verliebt bin,
Sind Apollos Schwestern günstig;
Aber ging‘ es mir ans Leben,
Flattern meine schönsten Verse
Ließ‘ ich wahrlich mit dem Winde,
Brauchte meine beiden Arme!“
Antwort gab der Dichter lächelnd:
„Solches tat ich, Freund, in Wahrheit,
Ringend auf dem Meer des Lebens!
Wider Bosheit, Neid, Verleumdung
Kämpft ich um des Tages Notdurft
Mit dem einen dieser Arme.
Mit dem andern dieser Arme
Hielt ich über Tod und Abgrund
In des Sonnengottes Strahlen
Mein Gedicht, die Lusiaden,
Bis sie wurden, was sie bleiben.“
… Nämlich die portugisische Nationaldichtung, und das bis heute.
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (8)
Gegenstand dieses Fadens war bisher der ungereimte, gereihte trochäische Vierheber; und er soll es auch bleiben. In diesem Beitrag gehe ich aber einen Schritt weg vom geraden Wege und werfe einen Blick auf Texte, die den ungereimten trochäischen Vierheber nicht gereiht, sondern mehr oder weniger strophisch verwenden!
Am üblichsten sind da sicher vierzeilige Strophen. Ein sehr bekanntes Gedicht in diesem Maß ist Heinrich Heines „Der Asra“; ich möchte hier aber einen weniger bekannten Text vorstellen, Conrad Ferdinand Meyers „Auf dem Canal grande“:
Auf dem Canal grande betten
Tief sich ein die Abendschatten,
Hundert dunkle Gondeln gleiten
Als ein flüsterndes Geheimnis.
Aber zwischen zwei Palästen
Glüht herein die Abendsonne,
Flammend wirft sie einen grellen
Breiten Streifen auf die Gondeln.
In dem purpurroten Lichte
Laute Stimmen, hell Gelächter,
Überredende Gebärden
Und das frevle Spiel der Augen.
Eine kleine, kurze Strecke
Treibt das Leben leidenschaftlich
Und erlischt im Schatten drüben
Als ein unverständlich Murmeln.
Genau wie „Der Asra“ vier Strophen mit vier Zeilen, und hier wie da sind die Strophen auch deutlich als Strophen zu erkennen: Jede enthält einen eigenständigen Teil des vorgestellten Geschehens. Dadurch fließt die Sprache nicht so frei wie in den bisher betrachteten Texten, nach je vier Zeilen kommt ein Einschnitt, ein Haltepunkt; aber über vier Strophen lässt sich das gut aushalten, und der Verfasser kann diesen strophischen Rahmen auch sicher nutzen, um einen Text auf eine Art und Weise aufzubauen, die ihm bei fortlaufenden Vierhebern nicht zur Verfügung stände?!
Will man in solchen vierzeiligen Einheiten längere Strecken erzählen, verwischen die Strophengrenzen naturgemäß – die Sinneinschnitte am Strophenende sind nicht mehr so stark, und oft fließt die Handlung einfach über die Strophengrenze hinweg. Ein Beispiel dafür borge ich mir bei Heine, der seine zahlreichen Vierheber-Texte grundsätzlich so abgeteilt hat.
Ziemlich am Anfang des über 200 Strophen langen „Jehuda ben Halevy“ geht es um die berühmten „Hängenden Gärten der Semiramis“:
Königin Semiramis,
Die als Kind erzogen worden
Von den Vögeln, und gar manche
Vögeltümlichkeit bewahrte,
Wollte nicht auf platter Erde
Promenieren wie wir andern
Säugetiere, und sie pflanzte
Einen Garten in der Luft –
Hoch auf kolossalen Säulen
Prangten Palmen und Zypressen,
Goldorangen, Blumenbeete,
Marmorbilder, auch Springbrunnen,
Alles klug und fest verbunden
Durch unzähl’ge Hängebrücken,
Die wie Schlingepflanzen aussahn
Und worauf sich Vögel wiegten –
Große, bunte, ernste Vögel,
Tiefe Denker, die nicht singen,
Während sie umflattert kleines
Zeisigvolk, das lustig trillert –
Alle atmen ein, beseligt,
Einen reinen Balsamduft,
Welcher unvermischt mit schnödem
Erdendunst und Missgeruche.
Da ist der „Heine-Ton“ recht deutlich zu hören … Wichtiger im Rahmen dieses Fadens ist aber die Art, in der Sprache, Satz und Sinn unbekümmert von einer Strophe zur anderen springen: die Stropheneinteilung ist hier nicht viel mehr als eine Hilfe fürs Leserauge!
Der Beachtung wert ist noch die zweite Strophe. Heine lässt in mancher Strophe einen Vers mit einer betonten Silbe enden; das lockert den Text angenehm auf. Für den allgemeinen Aufbau solcher Texte spannend ist dieses Vorgehen, wenn ein solcher betont endender Vers am Schluss der Strophe steht, wie hier in der zweiten gezeigten Strophe:
Einen Garten in der Luft –
Macht man das als Verfasser durchgängig, stärkt das natürlich die Wahrnehmung der einzelnen Strophen, denn die betonte Silbe und die anschließende Pause, die die fehlende unbetonte Silbe vertritt, heben sich meist deutlich heraus!
Das ergibt dann wieder ein etwas anderes Erzählen, der Text wird wieder kleinteiliger; und auch fester. Damit kann man dann Ernsteres erzählen, wie Conrad Ferdinand Meyer in „Kaiser Friedrich der Zweite“:
In den Armen seines Jüngsten
Phantasiert der sieche Kaiser,
An dem treuen Herzen Manfreds
Kämpft er seinen Todeskampf.
Aber da belasse ich es bei der ersten Strophe und schließe diesen Beitrag lieber mit einem eher heiter-verspielten Text Meyers, mit den ersten vier Strophen von „Don Fadrique“. Auch hier gibt es den betonten Strophenschluss:
Don Fadrique bringt ein Ständchen
Der possierlichen Pepita:
„Liebchen, strecke durch die Türe
Deines Füßchens Spitze nur!“
Und die drollige Pepita
Streckt durch eine schmale Spalte
Eines allerliebsten Fußes
Weißes Spitzchen in die Luft.
Don Fadrique krümmt den Rücken,
Will das weiße Spitzchen küssen,
Knabe Amor steht beiseite,
Der den Bogen lachend spannt.
Nach dem ewigjungen Herzen
Zielt er, doch wer lacht, der zielt schlecht:
In des Ritters alten Rücken
Schießt er einen Hexenschuss.
So geht das dann … Aber man sieht: Es muss nicht immer „gereiht“ sein, auch „strophisch“ hat seinen Reiz; und zwischen diesen beiden Möglichkeiten gibt es reichlich Mischformen, so dass eigentlich für jeden Schreibenden etwas dabei sein sollte.
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (7)
In diesem Beitrag möchte ich das erste Kapitel von Ludwig Strauß‘ Legende „Mechtildis unter der Buche“ vorstellen. Entnommen habe ich diesen Text dem Band: Ludwig Strauß, Gedichte und Schriften, Kösel, München 1963; dort ist das erste Kapitel auf den Seiten 327-329 zu finden.
Die von immergleicher Trauer
Langsam ging, von immergleichem
Traume lieblich aufgehoben
Sinnend schwebte, die Mechtildis,
Guntram väterlichen Grimmes
Zwang sie aus dem Einsamwandeln,
Einsamsitzen vor den Thron.
Ein Eingangssatz, der mich beeindruckt hat, als ich ihn zum ersten Mal las. Man merkt schon, die „normale“ Satzstellung ist aufgegeben, auch der Vers macht sein Gewicht gelten. Die für im Vierheber geschriebene Texte kennzeichnenden Wiederholungen von Satzteilen sind gleich am Anfang vertreten. Beispielhaft für die Versbehandlung in diesem Text ist der letzte Vers: Hier endet der Satz, und Strauß schließt ihn unter Auslassung einer unbetonten Silbe auf einer betonten Silbe! Die lange Sprechpause nach dem Punkt vertritt dabei die unbetonte Silbe.
„Einzig Blut, das von mir dauert,
Soll ich zusehn, wie du absiechst,
Aufgesogen von der Sonne,
Hingenommen von dem Winde,
Wolke halb vergehst im Blauen,
Halb verrinnst im toten Sand?
Eher reiß ich aus der welken
Trauer um den ledigen Fahrer
Der aus Nichts in Nichts geschwunden,
An den Haaren dich herauf.“
Wieder eine lose Satzstellung, Parallelismen, Satzschlüsse auf betonten Silben („Sand“, „herauf“). All das ist kennzeichnend für den Text und bleibt im weiteren so, auch wenn ich es nicht mehr erwähne! Bei „ledigen“ gibt es durch die beiden unbetonten Silben eine kleine Abweichung vom Versmaß.
„Vater“, sagte da Mechtildis,
Ihre Stimme schwer von Ferne,
Mühsam in die blauen, vollen
Blicke fassend Thron und Herrn,
„König, der du Macht hast über
Acker, Wald und Schiff und Menschen,
Hast du aber auch die Krone
Von den Geistern in dem Wasser,
Von den Wesen in den Bäumen,
Von den Seelen in den Leibern?
Kannst dem Winde auch gebieten,
stillzustehn, des Baumes Rauschen
Schweigen und der Welle Stimme
Und die Trauer in der Brust?
Samen streu in deine Äcker,
Bäume setz in deine Forste,
Halm wächst doch im eignen Wesen,
Baum im eigenen Gesetz.“
Wie hält es Strauß mit dem Zeilensprung?! Einige Male trennt er zwar zusammengehöriges, aber im allgemeinen ist er da vorsichtig. Zu dem „über“ etwa, das am Versende steht, tritt der gesamte folgende Vers, was die Trennung weniger hart klingen lässt? Diese Aufzählung ist auch in ihrer Bewegung bemerkenswert:
Acker, Wald und Schiff und Menschen
Ich hatte ja schon auf „klappernde“ Aufzählungen der Art „Silben, Wörter, Sätze, Texte“ hingewiesen mit genau gleichen Aufzählungsgliedern; Strauß‘ Aufzählung ist nun das „andere Äußerste“, denn hier ist kein Glied der Aufzählung einem anderen gleich:
Acker, / Wald / und Schiff / und Menschen
X x / X / x X / x X x
– Ein sehr abwechslungsreich sich gliedernder Vers!
Guntram, vor der fremden Stete
Wirrnis zornig spürend, senkte
Hart zur Brust das bärtige Antlitz,
Nährte aus des Thrones Golde,
Stärkte aus dem Waffenschimmern
Seiner Scharen durch die Tore
Die gebieterischen Mächte
In dem angefochtnen Mute,
Riss das Haupt herauf und schrie:
„Da an Rede Widerrede
Du zu setzen nicht ermattest,
Lass nun schaun, ob auch dem Zwang du
Widerzwang hast aufzubieten,
Welche Kraft wohl länger währt!
„Bärtige“, wieder zwei unbetonte Silben; und an derselben Stelle im Vers wie das „ledige“. Die Satzstellung am Schluss, das scheinbar unverbundene „Welche …“, das aber doch zu „Lass nun schaun,“ gehört, erscheint mir sehr reizvoll!
Unverhoffte Gnade“, sprach er,
„Unverdiente soll dir werden,
Doch gewaltsam wie dem strotzigen
Kind ins aufgehaltne Mundwerk
Heilsam Tränklein wird geflößt.
Um dich wirbt und soll dich haben
Hatto, nachbarlicher König,
Der an Reichtum mit den Reichen
Funkelt, der an Manneswerte
Fürsten, Mannen überstrahlt.
Diesmal steht mit „strotzigen“ eine „doppelt besetzte Senkung“ am Versende! Das ist ziemlich ungewöhnlich … Ich glaube, das werden im Vortrag viele auf „strotz’ge“ verkürzen? Andererseits ist ein recht heftiger Zeilensprung da, das Versende tritt also ohnehin nicht so stark als Pause in Erscheinung; und gerade an dieser Stelle, mit diesem Wort das Metrum zu durchbrechen: passt gut zum Inhalt?!
Dem ein Kampfgott reiht die Heerschar,
Dem ein Blitz wohnt in der Schwerthand,
In den Rennerbeinen Hirschblut,
Dem ein Falkenblick den Spieß lenkt,
Held von Helden, Jäger über
Allen Jägern, wirbt um dich.
Die zusätzlichen unbetonten Silben, die ich angesprochen habe, setzt Strauß häufiger, als es üblich ist. Wenn aber diese Möglichkeit der Auflockerung selten ist, woraus gewinnt der Vierheber dann die nötige Abwechslung, seine Vielgestaltigkeit? Dieser Abschnitt zeigt zwei Möglichkeiten dafür!
Einmal die Wahl der Schluss-Silbe. Es macht für den Eindruck, den der Vers dem Ohr macht, einen gewaltigen Unterschied, ob die letzten beiden Silben durch ein Wort wie „Wesen“ besetzt sind, in dem die letzte Silbe fast ganz stumm bleibt, oder durch ein Wort wie „Heerschar“, in dem die zweite Silbe erstens eine „Sinnsilbe“ ist und zweitens einen langen Vokal aufweist! Dadurch bekommt diese Silbe ein großes Gewicht, sie hat eine starke Nebenbetonung. Strauß setzt diese Möglichkeit nun gleich viermal nacheinander ein: „Heerschar“, „Schwerthand“, „Hirschblut“ „Spieß lenkt“, im letzten Fall durch zwei „schwere“ einsilbige Wörter. Die damit erzielte Wirkung ist sehr stark!
Zweitens entsteht Vielfalt durch die Möglichkeit, sozusagen „am Metrum vorbei“ andere Bewegungsmuster in den Text zu schmuggeln. Hier sieht man das deutlich an diesem Vers:
Dem ein Blitz wohnt in der Schwerthand.
Vom Metrum her ein tadelloser vierhebiger Trochäus:
Dem ein / Blitz wohnt / in der / Schwert-hand.
X x / X x / X x / X x
Allerdings sind zwei der Silben, die in der „Senkung“ stehen, für sich viel bedeutender, „schwerer“, als zwei der Silben, die in der „Hebung“ stehen: „wohnt“ und „-hand“ als Senkungssilben, „Dem“ und „in“ als Hebungssilben. Das führt dazu, dass im lebendigen Vortrag die Versbewegung eher so aussehen dürfte:
v v — —, v v — —
(Wobei ich durch die beiden unterschiedlichen Darstellungsformen keine Verwirrung stiften möchte; hier sollen „X“ und „x“ mehr auf das „theoretische Metrum“ verweisen, „v“ und „—“ mehr, hier: ausdrücklich auf die „gesprochene Wirklichkeit“. Das hängt selbstredend zusammen; aber es ist nicht deckungsgleich.)
Also ein tataTAMTAM, tataTAMTAM – ich weiß nicht, ob die Bewegung deutlich wird, aber in Bezug auf die antike Terminologie sind das „Ioniker a minore“, so gut sie das Deutsche eben hinbekommt; eine sehr eindrückliche Bewegung, und stark vom üblichen „trochäischen Gang“ unterschieden!
Der Vers vor diesem („Dem ein Kampfgott …“) bereitet diese besondere Bewegung schon vor, der Vers danach ist anders gebaut, dann kommt noch eine Erinnerung an den Ioniker; und dann fällt die Versbewegung zurück in üblichere Muster.
Gib mir nun kein Wort und Zeichen,
Denn der Unverständigen muss ich
Fraglos ordnen, was ihr zukommt,
Und zum Neumond wird die Hochzeit
Dir gerüstet hier im Saal.“
Wie weit trägt die angesprochene „besondere Bewegung“ des Ionikers? Hat man sie hier noch im Ohr, liest man die Folge „was ihr zukommt, und zum Neumond wird die Hochzeit“ vielleicht auch als „v v — —, v v — —, v v — —“?! Vielleicht aber auch nicht, denn so klar wie im zuerst besprochenen Vers ist die Bewegung an dieser Stelle längst nicht. „Unverständigen“, noch einmal zwei unbetonte Silben; wie gesagt, Strauß benutzt sie häufiger, als es üblich ist.
Das erste Kapitel endet hier, passenderweise; die Bühne, auf der sich die Legende im weiteren entfaltet, ist bereitet!
Mir gefällt Strauß‘ Text sehr gut. Vom Inhalt her ist es eine „handelsübliche Legende“, aber die Art, wie Strauß sie mit Hilfe des Vierhebers in sprachliche Wirklichkeit formt, beeindruckt mich bei jedem Lesen, jedem Sprechen wieder …
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (6)
Die Art und Weise, wie ungereimte, gereihte trochäische Vierheber in der deutschen Dichtung gebraucht werden, speist sich aus drei verschiedenen Einflüssen. Der erste ist der Einfluss der Antike, die Übersetzung und Nachahmung der „Lieder Anakreons“; davon war hier schon die Rede. Der zweite ist der Einfluss spanische Romanzendichtung; davon wird hier noch die Rede sein. Und der dritte ist der Einfluss der „Kalevala“, des finnischen Epos, das Elias Lönnrot in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus gesammelten mündlichen Quellen zusammengestellt hat. Der „Kalavela-Vers“ wird im Deutschen oft durch einen vierhebigen Trochäus wiedergegeben, eine Entscheidung, über die viel gestritten worden ist, die aber auch nicht besser oder schlechter ist als andere.
Klingen tut das ganze dann jedenfalls wie in dem folgenden, ganz kleinen Ausschnitt aus der „14. Rune“ (das Gesamtwerk umfasst 22795 Verse!) in der Übersetzung von Dagmar Welding (in 3. Auflage erschienen ???? bei Mellinger in Stuttgart):
„Waldwirt, du vom Tapiohofe,
du des Tapiohofes Wirtin,
und du Waldesgreis, du Graubart,
du des Waldes goldner König,
Mimerki, du Waldesmutter,
liebe Waldesgabenmutter,
in dem blauen Mantel, Alte,
rotbestrumpfte Sumpfeswirtin,
komme nun das Gold zu tauschen,
komm nun Silber einzuwechseln,
Gold hab ich von Mondesalter,
Silber von der Sonne Alter,
in dem Handgemeng‘ gewonnen,
scharfen Schlachten schwer erbeutet;
nützt sich ab im Beutel liegend,
dunkelt trüb im Zundersacke,
ist da niemand, Gold zu tauschen,
und kein Wechsler für das Silber!“
So war Lemminkäinen lustig
lange gleitend hingeeilet,
sang im Laubwald seine Strophen,
in des tiefen Urwalds Öde;
Sang geneigt des Waldes Wirtin
und geneigt des Waldes Wirt sich,
macht von sich entzückt die Mädchen,
stimmt für sich die Tapiotöchter.
Das ist als Übersetzung „abgeleitet“, die Verse bewegen sich nicht unbedingt so, wie sie es in einem „rein deutschen“ Text täten; von daher ist es nicht sinnvoll, hier genauer in die Verse hineinzuschauen. Für mich liegt der Reiz an anderer Stelle!
Wenn man sich nämlich einliest in die Kalevala, dann gewinnt man bald den Eindruck, und festigt ihn mit jedem weiteren Dutzend Verse: Wiederholung ist etwas herrliches, und der trochäische Vierheber ist ein Maß, das Wiederholungen wunderbar tragen und vermitteln kann!
Um mal die ganz großen Worte zu wählen: Hier drin steckt auch ein Stück Befreiung von dem Zwang der heutigen Sprache, möglichst viel möglichst fehlerfrei mit möglichst kleinem Aufwand aussagen zu müssen. Hier findet sich eine Möglichkeit, Dinge auszubreiten vor dem Leser, sich in Einzelheiten zu verlieren; denn der Vers trägt das alles, er hält die Aufmerksamkeit des Lesers (oder eher: des Hörers?!) fest durch seinen immer gleichen Aufbau, der aber doch jedesmal leicht anders gestaltet ist. Wiederholung und Abwandlung der Wiederholung: damit ist viel zu erreichen! Ich hänge zum Schluss noch einen kleinen Absatz aus der „6. Rune“ an, das zu verdeutlichen; und empfehle die Kalevala für lange Winterstunden. Es lohnt sich! Im nächsten Beitrag geht es dann aber wieder mit Vierhebern neuerer, deutscher Dichter weiter.
Inhaltlich geht es darum, dass jemand mit Pfeil und Bogen auf seinen Feind wartet, der irgendwann auftauchen muss:
Lange wartet er auf Väinö,
lauert lange unermüdlich,
sogar sitzend an dem Fenster,
spähend um die Speicherecke,
horchend an des Triftwegs Ausgang,
wachsam blickend übers Blachfeld,
Köcher voller Pfeil am Rücken,
unterm Arm den guten Bogen.
Spähet dann noch weiter draußen,
an dem andren Hause drüben,
an der Feuerspitze Ende,
an der Feuerlandzung Höhlung,
dicht am feur’gen Wasserfalle,
an des heil’gen Stromes Strudel.
Und der Leser wartet mit. Bis dann schließlich, „Eines schönen Tags geschah es, / Einem Morgen unter andren“, der Gesuchte reitend in Sicht kommt …
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (5)
Ich möchte in den weiteren Beiträgen auf wirklich lange Erzähltexte zu sprechen kommen; solche, die mehrere tausend Verse umfassen. Diese Texte werden in der Regel nicht aus der Jetztzeit stammen, sondern vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts oder aus noch früherer Zeit.
Um aber zu zeigen, dass auch heutzutage in trochäischen Vierhebern erzählt werden kann und erzählt wird, stelle ich hier erst noch etwas von Robert Gernhardt ein, einen Ausschnitt aus seinem sehr langen Gedicht Ein Gespräch im Hotel „Schwarzer Bock“, Ansbach 1993. Entnommen habe ich den Ausschnitt dem Band Robert Gernhardt. Gesammelte Gedichte 1954 – 2004, der 2005 im S.Fischer-Verlag erschienen ist; die Verse finden sich darin auf den Seiten 340-342.
Der Text enthält eine Fülle von Formen, keineswegs nur Vierheber; an einer Stelle aber wird das „Ich“ gefragt „Und das soll ich dir abnehmen?“ – und setzt zu einer längeren Erzählung in Vierhebern an. Dieser:
Warum nicht? Ein Unbehauster
War auch ich in jenem Frühjahr,
Als die Frau mir anvertraute:
Du, da gibt es einen andern.
Nichts wie weg. Erst kurz vor Würzburg
überlegte ich: Wohin denn?
Amberg? Bamberg? Nürnberg? Bayreuth?
Dann die Flatter hinter Würzburg.
Bis die Abfahrt kam, das zog sich.
Fahr mal, wenn dein Herz verrückt spielt.
Runter. Valium. Drei Kreuze.
Das war knapp. Dann wieder Straßen,
Regen, Hinweisschilder, Ansbach.
Ansbach – war ich da nicht schon mal?
Wird schon dunkel. Also Ansbach.
Ansbach also. Zimmersuche.
Ja, das nehm‘ ich. Eilig weiter.
Schließlich muss der Mensch was trinken.
Aber wo? Auf Ansbachs Marktplatz
war nicht los. Doch sehr in Eile
kommt wer keuchend, rennt ins Helle,
stöhnt dabei. Im Licht der Lampen
wirkt er strange. Wie hieß denn noch mal
diese Jacke? Und weg war er,
rot und schwarz kariert. Noch als ich
das Lokal betrat, da lag’s mir
auf der Zunge. Ja, ein Helles!
Dunkler Abend. Je mehr Helle,
desto düsterer sie alle,
Schankraum, Kellner, Gäste, Zukunft.
Plötzlich kreischt es. In der Tür steht
eine Frau und weist nach oben,
kreischend, dass in ihrem Zimmer
jemand unter ihrem Bett läg‘,
nie gesehn, und Worte stöhne,
nie gehört. Dann ging die Post ab:
Aus dem Nebenzimmer stürzen
sieben Amis, breit wie Bären,
alle in den gleichen Jacken,
alle mit der gleichen Aufschrift,
alles Judo-Fighter. Alle
sind nur zu bereit zu fighten,
alle rauf. Wir andern warten.
Hören erst mal nichts, dann Flüche,
Klatschen, Winseln, Poltern. Dann ein
Schrei, so markerschütternd elend,
dass sich jedes Haar sträubt. Alle
schaun wir auf die Tür und sehen,
wie da wer im trüben Licht der
Toilette schreit. Im Halbkreis,
fast verlegen, steht die Meute,
deren Anführer zurückblafft.
Alles Amis, auch der Schreier,
offenkundig Opfer eines
derart übergroßen Schreckens,
dass er selber schreckt. Beklommen
treten wir zurück. Im Gastraum
herrscht erst Schweigen. Dann sagt einer
was von Drogen. Und ein andrer
was von Horror. Und ein Dritter
will ein Helles. Und dann läuft der
Film zurück: Die Amibären
kommen wieder rein, verschwinden
nebenan. Ein Krankenwagen
holt wen ab, und als er heulend
losfährt, weiß ich unvermittelt,
wie das hieß, was selbst im trüben
Licht der Toilette unschwer
zu erkennen war, schwarz-rote
kleine Karos, großer Kragen:
Lumberjack! Ja, noch ein Helles!
Der Text beginnt „lyrisch“ durch das seltsam anmutende „Unbehauster“; danach aber, spätestens ab dem zweiten Abschnitt, erzählt er mit Begriffen der Gegenwart über die Gegenwart; und das auf eine Art, wie es Prosa nicht könnte, meiner Meinung nach!
Wie behandelt Gernhardt den Vers? Auf einer so langen Vers-Strecke könnte man auf vieles hinweisen, aber ich beschränke mich auf drei Dinge.
Amberg? Bamberg? Nürnberg? Bayreuth?
Ich habe in den vorigen Beiträgen darauf hingewiesen, dass Verse dieser Art – X x / X x / X x / X x /, mit dem Zusammenfall von Wort- und Verfuß-Grenzen – „klappern“ und besser vermieden werden. Es gibt allerdings eine Ausnahme, und das ist die Aufzählung. Da ist dieser tiefe Einschnitt willkommen, denn dadurch werden die Bestandteile der Aufzählung vereinzelt, es entsteht ein Liste; was ja im Sinne einer Aufzählung ist. Solche Verse haben alle Verfasser!
Später folgt auch hier ein weiterer solcher Vers:
Schankraum, Kellner, Gäste, Zukunft.
Und weiter hinten im Gedicht, nach dem hier vorgestellten Ausschnitt, bedient sich Gernhardt dann auch noch einmal aus dem allgemeinen Vorrat solcher Aufzählungen: „Friede, Freude, Eierkuchen“.
Aber weiter. Eine Frage bezüglich des Vers-Schlusses lautet: Wie hält es der Verfasser dort mit einsilbigen Wörtern? Die dadurch erzielte Wirkung ist sehr verschieden von der Wirkung zweisilbiger Wörter. Einmal kann so ein Zeilensprung eingeleitet werden:
Hören erst mal nichts, dann Flüche,
Klatschen, Winseln, Poltern. Dann ein
Schrei, so markerschütternd elend,
„ein / Schrei“, mit einiger Wirkung! Aber auch ohne Zeilensprung sind Einsilber am Versende möglich:
wirkt er strange. Wie hieß denn noch mal
diese Jacke? Und weg war er,
rot und schwarz kariert. Noch als ich
das Lokal betrat, da lag’s mir
Hier sind die auf der Hebungsstelle stehenden Einsilber auch noch recht schwach, es fällt schwer, sie zu betonen; durch den immer noch vorhandenen, wenn auch nicht so strengen Zeilensprung löst sich das Versende beinahe auf, wird unhörbar?
Das hält Gernhardt allerdings sehr häufig so. Etwa an der schon genannten Stelle:
Hören erst mal nichts, dann Flüche,
Klatschen, Winseln, Poltern. Dann ein
Hier verteilt er eine dieser angesprochenen viergliedrigen Aufzählungen ungleich auf zwei Verse! Ein anderes Beispiel:
… Dann sagt einer
was von Drogen. Und ein andrer
was von Horror. Und ein Dritter
will ein Helles.
Das sind, strenggenommen, drei glasklare Vierheber:
Dann sagt einer was von Drogen.
Und ein andrer was von Horror.
Und ein Dritter will ein Helles.
– Aber Gernhardt zieht es vor, „Vers“ und „Satz“ nicht aufeinanderfallen zu lassen; auch so verschwimmt dem Ohr die Verseinheit. Sie geht aber trotzdem nicht verloren! Ich denke, man spürt zu jedem Zeitpunkt, dass man Verse liest.
Vielleicht haben diese Entscheidungen auch etwas mit der Länge des Textes zu tun – Gernhardt hat auch einige kürzere Stücke geschrieben in ungereimten trochäischen Vierhebern, da müsste man mal vorbeischauen und vergleichen. Wer die „gesammelten Gedichte“ im Schrank stehen hat (ich empfehle sie!), kann ja mal reinschauen, zum Beispiel bei:
Osterballade, Lang her, Lied der Bücher (mit Bezug auf Heines Vierheber), Lob des Alleinseins, Abend in Fort Lauderdale
Es gibt aber noch einige mehr zu entdecken!