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Ein Konjugationsgedicht

Heute bin ich mal wieder diese vier Verse von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau gelesen:

 

Ich liebe, du liebest, er liebet das Lieben,
Was liebet, wird alles vom Lieben getrieben,
Wir lieben, ihr liebet, sie lieben zusammen,
Drum kommet, ihr Nymphen,und kühlet die Flammen.

 

Und nun ist das inhaltlich durch die Art der Darsellung eine Anhäufung von sehr Ähnlichem, und in der Versbewegung ein unentwegtes „ta TAM ta“- tatsächlich ist die einzige hörbare rhythmische Figur der Amphybrach! Trotzdem sind diese vier Zeilen gute Dichtung, sie haben Schwung und lassen aufhorchen. Dazu muss man dann wohl wirklich Dichter sein … (Was bei Hoffmannswaldau aber ohnehin außer Frage steht!)

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Erzählverse: Der Blankvers (108)

Wie viele Verse braucht es, um den ganz eigenen „Blank-Vers-Ton“ des jeweiligen Verfassers zu verinnerlichen, oder auch nur den eines einzigen seiner Gedichte? Manchmal viele, manchmal reichen aber auch schon ganz wenige:

 

Aus rot und blau und gelb gezirkten beeten
Marschwiesen brückchen hügelchen kanälchen
Aus dem gezirp verspäteten behagens
Mit mattem hausglück stand ein Junger auf
Dem wärmte glühende Welle noch das herz
Dem war das steilste leicht und suchen war
Sein tag und seine nächte waren licht
Vom beten um die gnade um erfüllung.

 

Das sind die ersten Verse von Karl Wolfkehls „Nur wir“, im ersten Band seinergesammelten Werken (Claassen 1960) auf Seite 81 zu finden. Insgesamt weniger aus ein Zehntel des gesamten Textes, aber seinen Ton hat er hier schon gefunden?!

 

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Bücher zum Vers (110)

Dirk Dethlefsen: Zu Metrum und Rhythmus des Blankverses in den Dramen Heinrich von Kleists.

Dieser 1970 bei Fink erschienene, mit 140 Seiten nicht allzu umfangreiche Band hat zwar einen sperrigen und nicht sehr einladenden Titel, kommt aber im Inneren klar und verständlich daher in Kapiteln, die dazu recht gründlich in die Tiefe gehen (und das Erkannte auch noch anhand vieler Tabellen darstellen und absichern). Alles sehr lesbar! Ich füge hier aber trotzdem nur ein auf Seite 14 zu findendes Zitat Kleists an:

Ich bemühe mich aus meinen besten Kräften, dem Ausdruck Klarheit, dem Versbau Bedeutung, dem Klang der Worte Anmut und Leben zu geben; aber bloß, damit diese Dinge gar nicht, vielmehr einzig und allein der Gedanke, den sie einschließen, erscheine. Denn das ist die Eigenschaft aller echten Form, dass der Geist augenblicklich und unmittelbar daraus hervortritt, während die mangelhafte ihn, wie ein schlechter Spiegel, gebunden hält und uns an nichts erinnert als an sich selbst.

Schon an sich bedenkenswerte Worte; und außerdem eine kleine Erinnerung daran, dass Kleist auch als Prosaist eine Größe war.

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Erzählformen: Das Reimpaar (37)

Das Reimpaar aus iambischen Vierhebern wurde und wird häufig für das komische Gedicht verwendet, wo es gute Dienste leistet; dumm aber, wenn sich eine solche komische Wirkung unabsichtlich einstellt! Der Anfang von Ludwig Uhlands „Siegfrieds Schwert“ zeigt, dass daran, gerade in erzählenden Texten, oft das genau eingehaltete Auf und Ab des iambischen Maßes Schuld ist:

 

Jung Siegfried war ein stolzer Knab,
Ging von des Vaters Burg herab.

Wollt rasten nicht in Vaters Haus,
Wollt wandern in alle Welt hinaus.

Begegnet‘ ihm mancher Ritter wert
Mit festem Schild und breitem Schwert.

Siegfried nur einen Stecken trug,
Das war ihm bitter und leid genug.

Und als er ging im finstern Wald,
Kam er zu einer Schmiede bald.

 

Das erste und das fünfte Reimpaar wirken sehr geregelt und streifen zumindest das unfreiwillig Komische; die mittleren drei Verspaare wirken mit ihren eingestreuten zweisilbig besetzten Senkungen lebendiger und auch dem Erzählgedicht angemessener!

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Das Königreich von Sede (105)

Schemel, dem der Frösche Schar
Mancherlei gequakt hat
Von der Welt, die früher war,
Reut’s, dass er gefragt hat,
Nicht, weil er’s nicht wissen will:
Weil es laut ist und nicht still,
Wenn die Frösche quaken.

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Erzählformen: Das Distichon (93)

Der Käfer und der Schmetterling

Schmetterling, fliegest so stolz mich redlichen Käfer vorüber.
Gelt, du scheuest den Freund, der dich als Raupe gekannt.

 

Da hört man schon am „mich redlichen Käfer“ (und eigentlich am ganzen Hexameter): Das ist älter … Friedrich Müller, geboren 1749 und 76 Jahre alt geworden, hat in den Zeiten, in denen das Distichon noch in der „Erprobungsphase“ war, trotzdem schon einen ansehnlichen Vertreter geschaffen?!

Die metrische Form:

Schmetterling, / fliegest so / stolz || mich / redlichen / fer vor- / über.
Gelt, du / scheuest den / Freund, || der dich als / Raupe ge- / kannt.

— ◡ ◡ / — ◡ ◡ / — || ◡ / — ◡ ◡ / — ◡ ◡ / — ◡
— ◡ / — ◡ ◡ / — || — ◡ ◡ / — ◡ ◡ / —

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Erzählformen: Die Brunnenstrophe (19)

Ein etwas weniger bekannter Text von Joseph von Eichendorff ist „Der Kühne“:

 

Und wo noch kein Wandrer gegangen,
Hoch über Jäger und Ross
Die Felsen im Abendrot hangen
Als wie ein Wolkenschloss.

Dort zwischen den Zinnen und Spitzen
Von wilden Nelken umblüht,
Die schönen Waldfrauen sitzen
Und singen im Wind ihr Lied.

Der Jäger schaut nach dem Schlosse:
Die droben, das ist mein Lieb! –
Er sprang vom scheuenden Rosse,
Weiß keiner, wo er blieb.

 

Drei Strophen, in denen die Senkungsstellen ganz unregelmäßig mit entweder einer oder zwei unbetonten Silben gefüllt sind; wobei diese unbetonten Silben noch dazu sehr unterschiedlich sind,  wie zum Beispiel „Wald-frau-en“ belegt?! Trotzdem sind die Verse erkennbar von gleichem grundlegenden Bau, und in dieser Eigenart auch vom Hörer erfahrbar; die Brunnenstrophe ist gut herauszuhören!

Inhaltlich ist es genau die Art von Erzähltext, der in der Brunnen-Strophe zur Geltung kommen kann: Nicht zu lang, nicht zu reich an Einzelheiten, nicht zu stark angewiesen auf innere Bezüge.

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Erzählverse: Der Blankvers (107)

Der Mittelteil von „Vor dem Zuchthause“, geschrieben von Otto Ernst, liest sich so:

 

Wer aber diesem steinernen Gespenst
In sturmzerriss’ner Nacht vorüberschreitet,
Dem bohrt sich ein Gedanke tief ins Hirn,
Und in das Ohr raunt ihm ein Unsichtbarer:
„Sieh diese Stätte schuldbeladnen Elends
Und überschlag’ den Wert der eignen Tugend!
Wer fiel von diesen, deren Klageruf
An unbarmherzig kalte Mauern gellt –
Wer fiel in Schande, weil du mitleidlos
An seinem Jammer einst vorübergingst,
Als er noch gut war, doch vom Glück verlassen?
Wer fiel in Schande, weil du ihn verkannt?
Wer fiel in Schande, weil du seiner Jugend
In frevlem Leichtsinn eitle Lehren gabst,
Die abwärts führten, statt hinauf zum Lichte?
Wer fiel in Schande, weil du lässig warst,
Zum Guten ihn zu führen, seine Seele
Mit reinem Himmelslichte zu erfüllen,
Weil du in Faulheit deines eignen Wohlseins
Behaglich nur gewartet und sein Herz
Dalag, ein toter Acker, nur bedeckt
Vom Herbstesnebel eines öden Daseins?“

 

Da spricht ein „Unsichtbarer“, der dafür ziemlich tief in die Rhetorikkiste gegriffen hat; und damit durchaus Wirkung erzielt! Durchaus auch in Verbindung mit dem Blankvers, der sich hier zwar nicht in den Vordergrund drängt (macht er ja ohnehin selten), aber doch mitgestaltet und dem Text eine Festigkeit verleiht, die seinem Gegenstand bzw. dessen Ernst entspricht und daher ein „Mehr“ ist.