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Erzählformen: Das Reimpaar (30)

Nikolaus Lenau führt in „Die Drei“ das Reimpaar aus iambischen Vierhebern in seiner Reinform vor – keine auflockernden doppelt besetzten Senkungen, keine Abwechslung schaffenden weiblichen Versschlüsse, kein inhaltliches Übergreifen aus einem Verspaar ins nächste, kein nichts:

 

Drei Reiter nach verlorner Schlacht,
Wie reiten sie so sacht, so sacht!

Aus tiefen Wunden quillt das Blut,
Es spürt das Roß die warme Flut.

Vom Sattel tropft das Blut, vom Zaum,
Und spült hinunter Staub und Schaum.

Die Rosse schreiten sanft und weich,
Sonst flöss‘ das Blut zu rasch, zu reich.

Die Reiter reiten dicht gesellt,
Und einer sich am andern hält.

Sie sehn sich traurig ins Gesicht,
Und einer um den andern spricht:

„Mir blüht daheim die schönste Maid,
Drum tut mein früher Tod mir leid.“

„Hab Haus und Hof und grünen Wald,
Und sterben muss ich hier so bald!“

„Den Blick hab ich in Gottes Welt,
Sonst nichts, doch schwer mirs Sterben fällt.“

Und lauernd auf den Todesritt
Ziehn durch die Luft drei Geier mit.

Sie teilen kreischend unter sich:
„Den speisest du, den du, den ich.“

 

Das ist ein Inhalt, dem die formale Strenge, die Beschränktheit sehr gut tut!?

Bei sich zu Hause hatte Lenau selbst einen Geier, doch der war ausgestopft und wurde vom Dichter angedichtet, gleichfalls in Reimpaaren, aber in weiträumig-alexandrinischen; wodurch der Text einen ganz anderen Klang bekommt. In den ersten beiden Reimpaaren des langen Gedichts geht es bissig zu:

 

Du stehst so still und ernst, mein ausgebälgter Geier,
Ich bringe dir ein Lied mit meiner ernsten Leier.

Zwar hörst du nichts davon, dir geht mein Gruß verloren;
Doch Dichter sind gewohnt, zu singen toten Ohren.

 

Wobei die Dichter diesbezüglich bis heute keine Gelegenheit hatten, sich zu entwöhnen, scheint mir.

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Erzählverse: Der trochäische Vierheber (59)

Ephraim Moses Kuhs „Amors Nachfolger“ ist ein kurzes, eher epigrammatisches Gedicht ganz nach der Art des 18. Jahrhunderts:

 

Bei Dorinden fand ich neulich
Einen Mann mit Amors Bogen,
Und dem Köcher voller Pfeile.
Götter! rief ich, ich erstaune:
Ei! Wie schnell bist du gewachsen,
Guter, süßer Gott der Liebe!
Freund, du irrest, war die Antwort,
Mir, dem Gott des Eigennutzes,
Mir gab Amor seine Waffen,
Er besucht nicht mehr die Erde,
Ich vertrete seine Stelle.

 

– Aber noch heute lesbar, denke ich; auch durch die unauffällige Selbstverständlichkeit, mit der die ungereimten trochäischen Vierheber die Sprache gestalten! Wenn man sich einzelne Dinge anschaut, zum Beispiel die Verteilung der Satzpausen, oder die Gestaltung der Versschlüsse: bemerkt man schnell, dass „unauffällig“ dabei keineswegs „nicht durchdacht“ meint …

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Erzählverse: Der Blankvers (89)

„Monologsatz, gerichtet an das Bildnis einer Rokokofürstin in Fulda“; so hat Otto Julius Bierbaum den folgenden Text genannt:

 

O schöne Dame, deren Asche nun
Wer weiß wie lang im Kupfersarge ruht
(Groß ist gewiß die Trauerweide schon,
Die drüber ihre Zweige fallen lässt,
Schmalblättrige: wie ihre Hände schmal
Und ebenso graziös im Hin und Her), –
O schöne Dame, deren Brünnlein einst
So lebhaft plapperte, wie – nun, wie jetzt
Der schönen Damen Brünnlein plappern, und
Die doch so stolz war, wie wir Heutigen
Nur selten Stolz wahrnehmen bei der Frau
(Weil, ach, so selten heute Adel ist), –
O schöne Dame, deren Namen wohl
Ins Grab versank, wie dieser Lippen Rot
Und dieser Augenbrauen seidnes Schwarz:
Du hattest mehr als einen Dichter einst,
Gewiß ein Dutzend wohl, und Dutzende
Von schwärmenden Verehrern voller Geist:
Doch keinen, der dich jemals so verliebt
Anschaute wie jetzt ich, denn, sieh, mir ist,
Als säh‘ ich meine Dame jetzt in dir,
Von der ich nun seit Tagen ferne bin,
Und der ich immer huldige, wo nur
Mich edle Schönheit, stolze Güte grüßt.

 

Wie gut das inhaltlich ist, wer weiß (mir gefällt es); die verwendeten iambische Fünfheber sind jedenfalls trotz des Umstands, dass sie alle „männlich“ schließen, von großer und das Leserohr einnehmender Lebendigkeit!

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Erzählformen: Das Distichon (51)

Deutsche Epigramme wurden seit der Barockzeit in kurzen Reimtexten gestaltet; später kam dann das Distichon dazu, das spätestens mit den „Xenien“ Schillers und Goethes die Hauptform des kurzen Sinngedichts wurde.

Als 1832 eine Sammlung „Xenien“ eines unbekannten Verfassers erschienen, zeigte sich, dass die beiden Möglichkeiten auch verbunden werden können: Auf die (für ein Epigramm mehr oder weniger verpflichtende) Überschrift folgte ein kurzes Reimpaar, auf dieses dann das eigentliche Sinngedicht in einem oder zwei Distichen.

 

Null

Leere Worte macht er viele,
Und das sind ihm Musenspiele.

Jetzo setz‘ ich ein Xenion her, dem fehlt es an Inhalt;
Darin hab ich zum Vor – bild mir den Menzel erwählt.

 

Wolfgang Menzel war ein bekannter Literaturkritiker, der selbst kein Blatt vor den Mund nahm und auch in Distichen gegen die seiner Meinung nach unzureichenden Schriftsteller der Zeit gestänkert hat; da wird es ihn nicht gestört haben, wie hier auch einmal auf die „Empfängerseite“ eines Spott-Distichons zu geraten …

Bemerkenswert ist hier noch der Pentameter, in dem selbst die kleinstmögliche Pause zwischen den Halbversen, die entsteht, wenn der eine mit einem Wort endet, der andere mit einem neuen Wort beginnt, nicht verwirklicht wird; der Verfasser aber durch den Gedankenstrich, der das Wort spaltet, das die Versmitte überspannt, diesen Mittelpunkt doch wieder deutlich macht!

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Erzählverse: Der Blankvers (88)

Dichterlos

Wenn ich die Lerche sehe, wie sie langsam
Mit süßem Sang sich in die Lüfte hebt,
Und dann schnell abwärts zu dem Boden stürzt:
So macht’s mich traurig. – Mühsam schwingt der Dichter
Wohl auch sich auf zu höhern Regionen,
Doch zieht das Leben schleunig ihn zurück;
Er bleibt ein Mensch und haftet an dem Boden!

 

Inwieweit das Dichterbild, das Heinrich Joseph von Collin hier schildert, heute noch gültig ist – „höhere Regionen“ -, lasse ich dahingestellt; bemerkenswert ist, wie der sieben Blankverse lange Text die beiden inhaltlichen Hälften auf jeweils genau dreieinhalb Verse verteilt! „Zu dem Boden“ und „an dem Boden“ klingen dabei ein wenig „metrumsgezwungen“ ….

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Erzählformen: Das Distichon (50)

Als 1796 Schillers „Musenalmanach auf das Jahr 1797“ erschien, der mit seinen „Xenien“ – einigen hundert, von Goethe und Schiller gemeinsam verfassten satirischen Epigrammen in Distichonform – für gewaltigen Aufruhr im geistigen Deutschland sorgte, verfasste Christoph Daniel Ebeling eine Besprechung dazu – in Distichen! Dabei hatte er vor allem die Xenien im Blick:

 

Wir übergehen zuerst viel meisterhaft schöne Gedichte,
Voll Gefühls, wie Kleist, witzig, wie Lessing sie sang.

 

Einen Eindruck davon gibt dann das Ende der 62 Distichen langen Besprechung:

 

Doch wir fühlen, dass uns das Meisterwerk, wie wir es lesen,
Mit ansteckender Glut fast zu Dichtern entzückt;
Darum brechen wir ab, das Große, das Schöne zu schildern,
Den gutmütigen Scherz, den die hämischen Witz,
Der den stolzen Stümper nur straft, der prahlt, er sei Meister,
Doch aus Menschengefühl stets den Menschen verschont.
Nichtsinn oder Sinn, das ist hier niemals die Frage,
Denn ein jegliches Wort wird zum Gedanken der Kraft.
Alles ist meisterhaft hier, nichts Plattes, Schales, Gesuchtes;
Kein scurrilischer Spaß, alles männlich und stark!

 

– Schön. Manchmal etwas wacklig, aber trotzdem immer überzeugend und mit einem Sprachfluss, der dem Gegenstand, einer Buchbesprechung, angemessen ist!

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Erzählverse: Der Hexameter (155)

Georg Trakls „Frühling der Seele“ ist ein Gedicht aus 29 bewegungsstarken Langversen verschiedenster Art; keinesfalls ein Hexametertext, aber es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn sich unter solchen Langversen keine Hexameter fänden?! Und wirklich, zwei Hexameter kann man heraushören:

 

Reinheit! Reinheit! Wo sind die furchtbaren Pfade des Todes?
Dunkler umfließen die Wasser die schönen Spiele der Fische.

 

In Trakls Text stehen zwischen diesen beiden Versen sechs andere; aber sie können auch gut unmittelbar aufeinanderfolgen. Was nicht wundert: Gute Hexameter sind immer eine Einheit, etwas Abgeschlossenes, in sich Ruhendes; und der Mensch ist ein Sinnsucher ohnegleichen, wenn zwei zusammengestellte, „fertige“ Verse durch ihr Neben- und Nacheinander einen Sinn behaupten, wird ein Sinn gefunden werden!

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Erzählverse: Der trochäische Vierheber (58)

Verfasser sollen ihre Gedichte nicht erklären, heißt es oft; in Julius Curtius‘ folgendem Text übernimmt die Erklärerei sogar das Gedicht selbst!

 

Blühte mir ein schöner Garten
Voll der allerschönsten Blumen;
Malven, die den Himmel suchen,
Veilchen, Rittersporn und Flieder,
Nelken, Lilien und Resede.
Doch die schönsten Blumen alle
Mochten mir nicht so gefallen,
Als ein wildes Rosenstöckchen
Am gegitterten Geländer.
In der Blätter dunklem Grüne
Leuchteten die roten Blumen
Freundlich, wie die Morgenröte;
Und sie dufteten so lieblich,
Früh am Morgen, spät am Abend,
Dass ich manche liebe Stunde
An dem Rosenstöckchen wohnte.
Und der Gärtner sah mein Lieben,
Und noch mehr mich zu vergnügen
Schnitt er weg die wilden Ranken
Und die Dornen an den Stielen,
Die mir wohl die Hände ritzten.
Als ich nach gewohnter Weise
Abends zum Geländer schreite,
Ist der ganze Busch verwüstet:
Jeder der vorüber wallte,
Brach vom unbewehrten Busche
Im Vorbeigeh’n Blum‘ und Knospe;
Trauernd ging ich aus dem Garten,
Denn die zarten Blumen alle,
Wie der Regenbogen lieblich,
Wie aus Paradiesen duftend,
Konnten mir das Rosenbäumchen
am Geländer nicht ersetzten.

Und die Rose war mein Liebchen,
Und der Gärtner war sie selber,
Und der Garten meine Heimat.

 

Keine ganz großen Verse, aber das Ende hat in seinem Willen zur Eindeutigkeit etwas – durchaus!